Shakespeare erzählt
Und weil niemand antwortet, sagt sie es noch einmal, und diesmal sehr, sehr laut und sehr, sehr deutlich: »Ob – ich – jetzt – gar – nichts – mehr – gelte?« Sie wartet die Antwort nicht ab, stürzt sich auf Helena, reißt sie an den Haaren und zerrt sie nieder. Und Lysander zerrt Demetrius nieder. Und alle Harmonie ist dahin.
»Puck!« ruft Oberon. »Mach, daß sie schlafen. Alle. Und zwar sofort!«
Das kann der Puck und macht es.
Und dann wird sortiert. Lysander neben Hermia. Gesicht an Gesicht, eng. Damit beim Aufwachen kein Blick etwas anderes treffen kann. Demetrius neben Helena. Gesicht an Gesicht.
»Puck! Mach, daß Titania und ihr Esel schlafen. Und dann bring sie her!«
Auch das kann der Puck und macht es.
Oberon beugt sich über die Paare und träufelt auf die Augenlider Gift und Gegengift nach Bedarf und Ordnung.
Und endlich herrscht Ruhe im Wald. Aber nur noch wenig von der lieben Nacht ist übrig.
Als Eos, die Morgenröte, die Rosenfingrige, die Safrangewandete, ihr Haupt erhebt, erwacht Titania. Sie reibt sich die Augen und öffnet sie. Und was sieht sie neben sich liegen? Einen Mann mit Eselskopf!
»Alles ist Notwendigkeit«, begrüßt sie Oberon, »nichts ist freier Wille.«
Und Titania sieht ein, daß Meinungen nicht ins Elfenreich gehören, jedenfalls nicht andere Meinungen.
Der Puck nimmt dem Nicklas Zettel den Eselskopf vom Hals und setzt ihm das Haupt des Genies wieder auf, und Nicklas Zettel erwacht.
»Wenn ich jetzt der Squenz war!« ruft er aus. »Ich könnte es niederschreiben! Was der Mensch so zusammenträumt! Ein Roman war das! Ein Buch so groß wie ein Grabstein! Dreispaltig gedruckt! Und den Titel hätte ich auch schon: Zettels Traum.«
Da ertönt das Jagdhorn. Theseus beginnt den Tag seiner Hochzeit mit dem Abschießen von Tieren. Und Zettel eilt in die Stadt, zu den »Meisters«. Wo sind sie denn? Wir müssen probieren für den Wettbewerb!
Das Jagdhorn schmettert, und die Schlafenden erwachen. Demetrius öffnet die Augen, sieht Helena, verliebt sich, umgekehrt dito. Lysander öffnet die Augen, sieht Hermia, verliebt sich, umgekehrt dito. Alles, wie es sich gehört.
Theseus entscheidet: »Dann soll es so sein! Und damit es so bleibt, wird dreifach Hochzeit gefeiert.«
Jedenfalls herrscht Ordnung. Harmonie ist ohnehin mehr etwas für den Kirchenchor.
Meine Damen und Herren, es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß unsere »Meisters« den Theaterwettbewerb gewonnen haben.
Auf der königlichen Einladung steht: »Ein kurz langweiliges Stück vom jungen Pyramus und seiner Geliebten Thisbe. Spaßhafte Tragödie.«
Und das ist der Inhalt: Pyramus, ein junger Mann, liebt Thisbe, eine junge Frau, sie können nicht zueinander kommen, denn zwischen ihnen steht eine Wand. – Diese Wand wird dargestellt vom Kesselflicker Tom Schnauz. Der kann eine Wand spielen wie sonst keiner. – Durch eine Ritze in der Wand tauschen Pyramus und Thisbe ihre Liebesworte aus. – Auch die Ritze wird dargestellt von Tom Schnauz, dem Kesselflicker. Der kann eine Ritze spielen wie sonst keiner. – Pyramus und Thisbe verabreden, sich auf dem Friedhof zu treffen. Denn einmal wollen sie einander umarmen. Thisbe ist zuerst da. Ein Löwe erscheint – Schnock, der Schreiner mit halbem Kostüm und entsprechender Vorrede –, der Löwe fällt Thisbe an, reißt ihr das Kleid vom Leib, sie flieht. Dann kommt Pyramus, findet das zerrissene Kleid, denkt, Thisbe ist vom Löwen zerrissen worden, nimmt sein Schwert und tötet sich selbst – ebenfalls nach einer Vorrede. Thisbe kommt zurück, sieht den toten Pyramus, nimmt ihm das Schwert aus der Hand und tötet sich ebenfalls selbst. Ende des Stückes.
Das Publikum? Ein lahmer Haufen. Theseus hat die ganze Zeit mit seinem alten Kumpan Egeus politisiert, nicht ein einziges Mal hat er auf die Bühne geblickt. Hippolyta bockt sowieso den ganzen Abend über. Lysander? Immer den Körper leicht schräg an Hermia gelehnt, die ihm Aufgaben ins Ohr zischt, und er immer und zu allem und sofort sein »Ja, ja«. Nur Demetrius und Helena haben zugeschaut und zugehört. Wäre aber besser gewesen, sie hätten nicht. Nur saudumme Bemerkungen! Den ganzen Abend lang. Kein gutes Haar haben sie an dem Stück gelassen und keines an der Regie, und an den Schauspielern sowieso nicht. Beim Sterbemonolog des Pyramus haben sie herausgeprustet, daß sich Zettel das Gesicht abwischen mußte.
»Waren wir nicht gut?« fragt Peter Squenz
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