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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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da ist, den man damit beeindrucken kann. Sie will nach Hause. Aus dieser Richtung sind wir gekommen, denkt sie. Oder aus der anderen Richtung? Sie will nicht mehr die Augen ins Schwarze bohren und die Finger in die Erde krallen. Sie fürchtet, sie könnte Wurzeln schlagen. Im Wald ist alles möglich. Wenn irgendwo der Zauber wohnt, dann im Wald. Auf allen vieren kriecht sie durch die Dunkelheit. Ihr Atem klingt wie Schnaufen. Schnauf ich so? Oder schnauft jemand neben mir?
    Und dann hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Ihre Hand hat etwas berührt! Fühlt sich wie ein Fuß an. Es ist ein Fuß! Ein Fuß, der in einem Schuh steckt. Ein Schuh mit Schnallen. Knöchelhoch. Lysander trägt solche Schuhe. Und sind das Hosen? Ja, das sind Hosen. Typische Athenerhosen.
    Und da schickt barmherzig der Mond ein paar Strahlen hernieder.
    Es ist Lysander, der hier liegt! Neben einem Farnbusch liegt er und schläft. Helena weint vor Glück. Und sie schämt sich gar nicht dafür. Ihr Leben lang hat sie sich für Glückstränen geschämt. Die waren zwar selten geflossen; aber wenn, dann hat sich Helena rasch das Gesicht trocken gerieben. Oder hat sie uminterpretiert in Tränen des Unglücks.
    »Lysander!« ruft sie. »Wach auf! Ich bin es, Helena!«
    Und Lysander? Er wacht auf. Reibt sich die Augenlider. Öffnet die Augen. Die verzauberten Augen. Und was sieht Lysander?
    »Helena!«
    »Ja, ich bin’s!«
    »Du Wunderschöne!«
    »Was?«
    »Geliebte!«
    »Wie bitte?«
    »Du Privilegienarchiv der Natur!«
    »Träumst du?«
    »Verketten will ich mein Herz mit deinem!«
    »Spinnst du?«
    »Ich liebe dich, Helena!«
    »Seit wann?«
    »Seit immer!«
    Der Saft der Zauberblume wirkt.
    Helena glaubt, Lysander verspottet sie. Sie läuft davon. Spott tut wirklich weh. Mehr als das Unglück. Und Spott macht angst. Mehr als der Wald. Sie läuft hinaus ins Schwarze. Und Lysander läuft hinter ihr her. Er kann nicht anders. Kein freier Wille ist mehr in ihm. Nur Notwendigkeit.
    Da erwacht Hermia auf der anderen Seite des Farnbuschs. Und sie sieht: In dieser Welt gibt es nichts zu wünschen. Hier gibt es kein Immer, kein Alles und kein Sofort. Hier ist Hermia allein, ganz allein.
    »Hallo?« ruft sie verzagt. »Hallo?« Und tastet sich durch die Dunkelheit. Irgendwohin.
     
    Nicht weit auf einer kleinen Lichtung haben sich die »Meisters« versammelt, um die tragische Komödie von Pyramus und Thisbe zu probieren. Da wird am Text gefeilt und über Regie diskutiert. Nicklas Zettel, das Genie, hat Einwände. Die werden gehört. Wenn einer etwas von Theater versteht, dann Nicklas Zettel.
    »Mein lieber Peter Squenz«, spricht Nicklas Zettel, »ein unsterbliches Stück hast du verfaßt. Aber ich sehe auch Schwierigkeiten.«
    »Und was für Schwierigkeiten siehst du, Nicklas?«
    »Die Damen, Peter Squenz, die Damen!«
    »Aber in unserem Ensemble sind doch keine Damen.«
    »Im Ensemble nicht. Aber im Publikum. Die Damen werden sich erschrecken, wenn sich Pyramus am Schluß das Schwert in den eigenen Bauch stößt.«
    »Da hat der Weber recht«, sagt Schnauz, der Kesselflicker.
    »Man sollte eine Vorrede schreiben«, sagt Zettel. »Mit Inhalt, daß das Schwert nicht echt ist. Und daß Pyramus es sich in Wirklichkeit gar nicht in den Bauch stößt.«
    »Das ist gut«, sagt Peter Squenz und macht sich Notizen.
    »Vielleicht sollte in der Vorrede sogar ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß Pyramus nicht der wirkliche Pyramus ist, sondern daß ich ihn in Wirklichkeit nur spiele, ich, Nicklas Zettel, der Weber.«
    »Das ist gut«, sagt Peter Squenz.
    »Und dann noch der Löwe«, fährt Nicklas Zettel fort.
    »Was ist mit dem Löwen?« fragt Schnock, der Schreiner, der sich auf diese Rolle so prächtig vorbereitet hat. »Der darf doch auf keinen Fall fehlen.«
    »Er sollte nur ein halbes Kostüm tragen«, legt Nicklas Zettel dar. »Man muß das Kostüm in der Hälfte auseinanderschneiden. Damit die Damen sehen, es ist kein richtiger Löwe, es ist Schnock, der Schreiner. Rechts der Löwe, links der Schnock. Oder umgekehrt.«
    »Aber brüllen muß ich dürfen«, protestiert Schnock.
    »Aber nur nach einer Vorrede.«
    »Noch eine Vorrede?« fragt Peter Squenz.
    »Dringend! Wenn Schnock, der Schreiner, brüllt«, gibt Nicklas Zettel zu bedenken, »dann würde ohne Vorrede selbst ein Löwe in Ohnmacht fallen.«
    Das sehen alle ein. Nicklas Zettel, das Genie, hat eben ein Gespür fürs Theater wie sonst keiner.
    Und dann beginnt die Probe. Zuerst tritt Thisbe

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