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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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auf. Man will ja nicht gleich am Anfang das ganze Pulver verschießen. Das ganze Pulver ist Nicklas Zettel. Sein Auftritt soll vom Publikum ersehnt werden. Also wartet Zettel hinter der Kulisse. Das heißt: hinter einem Baum.
    Und wie er da hinter dem Baum steht und auf sein Stichwort wartet, schleicht sich der Puck heran. Leise wie Taubenflaum. Und berührt den Kopf des Genies mit seinem Zauberfinger. Und: Zack! Ohne daß Nicklas es merkt, verwandelt sich das Haupt des Webers in einen Eselskopf.
    Und dann fällt das Stichwort.
    Nicklas tritt vor: »O Nacht, so schwarz von Farbe …«
    Die Freunde kreischen, werfen sich die Hände vors Gesicht und rennen davon.
    »He! Wollt ihr einen Spaß mit mir machen?«
    Das hat der Zettel gern, wenn man einen Spaß mit ihm macht. Auch wenn so ein Spaß die Probe aufhält. Und er läuft ihnen nach. Durch den dunklen Wald. Er fühlt, daß ihm der Kopf schwer wird. Aber das kann vorkommen.
    Und dann stolpert Nicklas Zettel. Worüber stolpert er? Über eine Wurzel? Einen Stein? Nein – er stolpert über die Königin Titania, die da in ihrem Elfenbett liegt und schläft. Sie wacht auf, reibt sich die Augen – was klebt denn da auf den Lidern? Sie öffnet die Augen, und was sieht sie vor sich? Einen wunderschönen Mann mit einem wunderschönen Eselskopf! Und sie verliebt sich in ihn. Umarmt ihn. Schmeichelt dem Zettel, wie ihm noch nie eine Frau geschmeichelt hat. Und Nicklas Zettel ist ja nicht nur ein Genie, er ist auch ein Mann.
    »Komm mit mir«, säuselt Titania.
    Und Nicklas Zettel geht mit ihr. Und läßt sich von den Elfen verwöhnen. Und Elfen können verwöhnen, wie Menschen es niemals können, nicht einmal auf dem Theater …
    Oberon hat alles beobachtet. Esel allein wäre schon gut gewesen, denkt er, aber Mann mit Eselskopf ist besser. Das wird der Gemahlin zeigen, wohin es führt, Meinungen zu haben.
     
    Helena, die Unglückliche, läuft immer noch vor dem liebestollen Lysander davon. Angst hat sie, aber inzwischen auch schon eine Wut. Nein, verspotten will sie sich nicht lassen! Bemitleiden, ja. Verspotten, nein. Klar ist es schön, wenn ein Mann so verrückt nach einem ist. Aber es muß glaubwürdig sein. Muß sich entwickeln. Hier ein Wort, da ein Wort, hier ein Blick, da ein Blick, dann Briefe und Geschenke und so weiter. Helena ist schließlich nicht Hermia. Sie will nicht alles, jedenfalls nicht immer und schon gar nicht sofort.
    Und dann stolpert auch sie. Nicht über eine Wurzel, nicht über einen Stein. Sie stolpert über Demetrius, der da liegt und seinen Zornbuckel niederschnarcht.
    Demetrius wacht auf. Er reibt sich die Augen, öffnet sie.
    »Helena!« Völlig ungewohnter Ton in der Stimme, widerlich süß irgendwie. »Helena, meine Helena!«
    So kann man ihr nicht kommen, nicht einmal am helllichten Tag in der heimeligen Stadt könnte man ihr so kommen. Wie gesagt, plötzlichen Liebesausbrüchen mißtraut die im Unglück Geübte. Im nächtlichen Wald mißtraut sie sowieso allem. Vor allem dem Säuselton jenes Mannes, der sie noch vor keiner halben Stunde beschimpft hat wie noch niemand auf der Welt.
    »Helena«, schmachtet Demetrius weiter, »meine Helena!«
    »Du willst mich also auch verspotten?«
    »Ich liebe dich!«
    »Wie bitte?«
    »Ich liebe dich, Helena, meine Helena.«
    »Viele Worte gibt dir diese Liebe aber nicht ein.« Helena hätte den Demetrius gern gefragt: Was bin ich für dich? Womit läßt sich die Schönheit meines Gesichtes vergleichen? Womit die Eleganz meiner Figur? Womit der Duft meines Mundes? Was würdest du alles für einen Kuß von mir tun? Was für eine Umarmung? Was für eine Umbeinung? Sie hätte ihm die hübschesten Worte in den Mund gelegt. Aber es soll dieses Glück nicht für sie sein.
    Lysander braust durch den Forst auf sie zu. »Verschwinde, Demetrius!« donnert er, der bisher nur ja gesagt hat. »Helena gehört mir!«
     
    Hermia, die Alleingelassene, das verwöhnte Fräulein, hat sich weiter durch die Dunkelheit getastet. Sie will heim, alles tun, was der Papa will. Nur hinaus aus diesem Wald. Da hört sie Männergebrüll, denkt sich: Wo Männergebrüll, dort Zivilisation. Und was sieht sie? Lysander und Demetrius, beide kniend! Und vor wem? Vor Helena! Brüllen um die Wette ihre Brunft in Helenas Ohren. Ihr Lysander, der ihr schon tausendmal ein Jawort gegeben hat. Und Demetrius – gut, sie wollte ihn nicht; aber das heißt doch nicht, daß er eine andere wollen darf.
    »Gelte ich denn gar nichts mehr?« ruft sie.

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