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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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besorgt, als der Vorhang fällt.
    »Wir waren gut«, versichert ihm Nicklas Zettel. »Und wir werden immer besser. Und, lieber Peter Squenz, wir werden unser Können an unsere Kinder weitergeben. Und die werden wie wir Theater spielen und neues Können erwerben und es an ihre Kinder weitergeben. Und wenn das Athener Publikum sich nicht grundlegend bessert, dann werden die Kinder unserer Kindeskinder eines Tages das Land verlassen, um auf einer fernen Insel vor einem besseren Publikum zu spielen …«
    Und auf dieser fernen Insel, so wollen wir die Geschichte des Nicklas Zettel, die eine Trostgeschichte für seinen Freund Peter Squenz sein soll, weiterspinnen –, auf dieser fernen Insel wird ein Städtchen sein mit dem Namen Stratfort-upon-Avon, und dort werden ferne Nachfahren unseres genialen Webers einen Sohn zur Welt bringen. Und der … der …
    Aber am Ende ist fast alles gut. Für eine Nacht jedenfalls. Vielleicht für eine Nacht. Vielleicht aber nicht einmal für eine Nacht. Denn der Puck schwirrt über das Land und taucht in die Häuser hinein. Klappert in der Küche. Knackt im Gebälk. Hustet in Zimmern, in denen keiner schläft. Manche Menschen streichelt er, manche Menschen kitzelt er, manchen haut er auf den Schädel, daß sie meinen, sie hätten geträumt. Manchen zieht er die Augenlider auseinander und schlüpft hinein, so daß sie brennende Häuser sehen oder Rohrbrüche oder Blumenwiesen. Manchen Menschen schlüpft er ins Ohr, so daß sie Wölfe heulen und Löwen brüllen hören. Und manche Menschen ignoriert er. Die werden tief schlafen, bis diese Sommernacht an ihr Ende gekommen ist.

Timon von Athen
    In Athen lebte ein Mann, der hieß Timon. Er war reich. Er war sehr reich. Die Leute sagten: »Sehr-Reich ist erst der Vorname.« Es hieß, er verfüge über Quellen, die nie versiegen. Und solche Quellen hatte Timon auch dringend nötig, denn er gab viel Geld aus. Er ließ sich ein Haus bauen, einen Palast, und er ließ den Palast mitten in die Stadt bauen, direkt an die lange schöne Seite des Marktplatzes.
    In der Mitte des Palastes war ein Saal. Die Deckengewölbe zeigten Fresken vom Kampf um Troja – die Ankunft der griechischen Schiffe, prächtig schimmerten die Rüstungen in der Morgensonne; Agamemnons Raub der Chryseïs; Apollo, der seine Pestpfeile ins Lager der Griechen abschießt; Diomedes verletzt den Kriegsgott Ares; der Tod des Patroklos; zuletzt der Zweikampf zwischen Achill und Hector. Die besten Maler des Landes waren ein Jahr lang auf den Gerüsten gelegen. »Nicht einmal der Senat, und stünde ihm die gesamte Staatskasse zur Verfügung, könnte sich solche Ausschmückung des Rathauses leisten«, hieß es.
    Und wozu diente dieser prächtige Saal? Er war ein Geschenk Timons an seine Freunde. Hier sollten sie essen, trinken, Musik hören, Gespräche führen. Wann immer sie wollten. Tag und Nacht war Timons Haus für seine Freunde geöffnet. Und wer waren die Freunde des Timon? Alle. Jeder Bürger der Stadt Athen war Timons Freund. Oder anderes: Timon war der Freund eines jeden Athener Bürgers. Sicher, es gab welche, die wollten das gar nicht. Am Anfang waren es noch recht viele, die keinen Wert auf Timons Freundschaft legten. »Aber dann«, hieß es, »haben sie sich doch von Timons Liebe überzeugen lassen.« Timons Liebe? Ja, das waren seine Worte: »Ich liebe meine Freunde.« Und wer seine Freunde liebt, der gibt. Und nie hat ein großzügigerer Mann gelebt als Timon von Athen.
    Die Bürger kamen in Timons Haus, setzten sich an die riesige Tafel im großen Saal, betrachteten die Fresken auf dem Deckengewölbe; aßen, tranken, hörten Musik, unterhielten sich. Alles gratis. Zwei Dutzend Köche standen in Timons Dienst. Die Lieblingsspeisen der besten Freunde warteten Tag und Nacht darauf, daß es den besten Freunden danach gelüstete. Ein Heer von Dienern sorgte dafür, daß die Wünsche der Freunde umgehend erfüllt wurden.
    Und noch etwas: Wenn da einer meinte – und am Anfang gab es einige, die das meinten –, daß Timon den ducken Onkel mit der fetten Brieftasche spielte, also: von oben herab, gönnerhaft, großkotzig, der mußte nur einmal in Timons Haus gehen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Jeden einzelnen begrüßte der Hausherr mit Handschlag, erkundigte sich nach seinem Wohlergehen, hörte zu, legte die Hand auf die Schulter des Gastes, wies ihm persönlich einen Platz an der Tafel zu. Einen hervorragenden Platz. Es gab nur hervorragende Plätze. Jeder, der auch

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