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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Lucius bei Euch im Dienst?«
    »Das ist wahr.«
    »Er wagt es, meine Tochter zu lieben!«
    »Warum braucht es dazu Mut?«
    »Weil ich ihr Vater bin.«
    »Und Eure Tochter, liebt sie den Lucius zurück?«
    »Ja, ja, aber das spielt keine Rolle. Wer ist sie, und wer ist er? Sie eine Patriziertochter, er ein Lakai.«
    Das interessiert Timon. »Läßt sich dieser Unterschied irgendwie messen?« fragt er.
    »Wie meint Ihr das?«
    »Ob sich ein Äquivalent denken läßt?«
    »Ein Äquivalent wofür?«
    »Für die Liebe.« Und schließlich wird Timon deutlich: »Was ist der Preis für die Liebe Eurer Tochter.«
    Der vornehme Bürger blickt sich um, dann tritt er nahe an Timon heran und flüstert: »Zweitausend.«
    »Flavius!« ruft Timon.
     
    Aber es gibt auch Gäste, die nichts von Timon wollen. Das sind die, die auch nichts mitbringen. Genaugenommen sind es nur zwei: Alkibiades und Apemantus. Alkibiades ist ein junger Mann, aber bereits General; ein Schüler des Timon, er hat von ihm das Kriegshandwerk erlernt. Timon ist sein Vorbild. Ein Held, wie Timon einst einer war, so einer will Alkibiades werden. Wenn er Timon besucht, bleibt er nicht lange. Das Publikum liegt ihm nicht. Meistens setzt er sich nicht einmal. Hebt das Glas auf den Hausherrn, geht wieder und ist traurig.
    Apemantus ist ein Sonderfall. Er kleidet sich in Lumpen. Weil er nichts anderes besitzt und weil er nichts anderes besitzen will. Er wäscht sich nicht, er riecht wie ein verregnetes Lagerfeuer. Er schläft in Hauseingängen, leeren Fässern oder auf dem Moos des Waldes. Er schleicht durch die Stadt, spuckt aus, und pünktlich vor dem Abendessen erscheint er vor dem Haus des Timon. Er bringt nichts und nimmt nichts, und dennoch kommt er täglich. Und er schimpft. Auf alle. Auch auf Timon. Aber der scheint ihn zu mögen.
    »Heute, mein lieber Apemantus, heute werde ich dich überreden. Du weißt, der Sessel neben mir ist immer für dich reserviert. Eine neue Weinlieferung ist angekommen. Es wäre mir eine Freude, die erste Flasche gemeinsam mit dir zu trinken!«
    Apemantus zeigt seine faulen Zähne. »Ich habe alles, was ich brauche, bei mir.« Er wühlt in seinen Taschen, zieht ein Stück schimmliges Brot heraus und eine Flasche halb voll Wasser. »Das hat mir ein Misthaufen geschenkt, und er erwartet dafür nichts weiter, als daß ich es ordnungsgemäß wieder zurückgebe.«
    »Gut, dann tauschen wir. Ich gebe dir Rebhuhn und Wein, und du läßt uns dafür an deiner Philosophie teilhaben.«
    »Rebhuhn gibt es? Dann hat man mir falsch berichtet. Ich habe gehört, hier wird ein reicher Mann aufgefressen.«
    »Das würden die Damen nie zulassen!«
    »Warum nicht? Nichts macht schneller einen dicken Bauch, als wenn man einen reichen Mann auffrißt.«
    Die Gäste stehen im Kreis um Timon und Apemantus. Dieses Schauspiel bietet sich ihnen jeden Abend. Die Dialoge sind immer ähnlich. Timon und Apemantus werfen sich die Worte zu wie zwei Conferenciers auf der Bühne.
    »Was wirst du heute abend tun, Apemantus?«
    »Ich geh in die Stadt und such mir einen ehrlichen Athener.«
    »Das ist gut, Apemantus. Und was werdet ihr unternehmen?«
    »Gar nichts. Ich hau ihm das Hirn heraus.«
    »Aber, Apemantus, man wird dich dafür hängen.«
    »Das wird man nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es keinen ehrlichen Athener gibt.«
    »Aber wenigstens einen wird es doch geben.«
    »Aber der hat kein Hirn.«
    Timon amüsiert sich köstlich. Seine Gäste lachen mit ihm mit. Aber lustig finden sie diese Auftritte nicht.
    »Apemantus«, sagen sie, »du bist der Antipode der Menschlichkeit!«
    Diese Formel hat es in sich. Sie trifft den Punkt. An ihr ist gefeilt worden. Was ist der Mensch? Was macht ihn aus? Antwort: seine Tauschfähigkeit. Ein Mensch ist Apemantus zweifellos, denn er tauscht Worte gegen Worte. Das kann jeder Barbar. Denn jeder Barbar ist ein Mensch. Menschlichkeit aber ragt über das bare Menschsein hinaus – und zwar genau so weit, wie die Tauschfähigkeit kürzer ist als die Mehrwertfähigkeit. Erst der Mehrwert macht den Menschen menschlich. Wann aber bin ich mehrwertfähig? Ich gebe, um zu bekommen, und ich will ein wenig mehr bekommen, als ich gegeben habe. Ohne Mehrwert würde nichts vorwärtsgehen, die Menschheit würde immer auf derselben Stelle treten, wie die Hühner im Hof. Typen wie dieser Apemantus streben offensichtlich einen solchen halbtierischen Zustand an. Darum sind sie Antipoden der Menschlichkeit.
    Timon widerspricht dieser Argumentation

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