Shakespeare erzählt
schon eine dicke Mappe voll von Oden. Nur Autographen, nichts Getipptes!
Oder der Maler. Er hat schon lange ein Gemälde versprochen. Aber so einfach ist es nicht, einen Mann wie Timon in Leinwand und Öl zu übersetzen. Das braucht Zeit. Und viele Studien. Aber heute endlich ist es soweit, das Bild ist fertig. Auf dem freien Markt würde es einen Spitzenpreis erzielen. Aber der Maler sagt: »Dieses Bild gehört Timon. Ich schenke es ihm.«
Oder der Juwelier. Er kennt Timons Schwäche für schöne kleine Dinge. Er hat eine Schatulle mit Edelsteinen mitgebracht. »Ich bin ein Geschäftsmann«, sagt er. »Zum Verschenken habe ich nichts.« Er sagt es laut und in die Runde. Alle sollen hören, daß der Juwelier kein Schmeichler, kein Einschmeichler, kein Erschmeichler ist, daß er korrekt ist und absolut nicht käuflich. Dem Timon allerdings wird Rabatt gegeben. Das ist ja wohl das mindeste!
»Ihr seid ein Fachmann«, wendet sich der Juwelier an den Dichter. »Auf wieviel schätzt Ihr diese Steine?«
Der Dichter pflückt sich ein Juwelchen aus der Schatulle, zieht die Mundwinkel nach unten, verengt die Augen zu kritischen Schlitzen. »Auf hundert?«
»Gut geschätzt!« sagt der Juwelier. »Ich verkaufe sie dem Timon für neunzig.«
»Sehr großzügig«, sagt der Dichter und grinst. Warum grinst er? Jeder weiß, warum er grinst. Man kennt ja den Timon. Wer ihm gibt, der kriegt von ihm. Das trifft auf Geschenke ebenso zu wie auf Waren zu nachgelassenen Preisen. Timon pflegt exakt doppelt soviel zu geben, wie er bekommt. Und damit der Juwelier auch weiß, daß man rechnen kann, flüstert ihm der Dichter zu: »Gratuliere! Das Doppelte von neunzig ist hundertachtzig. Angenommen, deine Steine sind wirklich hundert wert, dann hast du achtzig gewonnen. Gratuliere!«
Der Juwelier grinst nun auch: Man hat richtig gerechnet.
Timon tritt vor sein Haus und begrüßt die Gäste. Hebt vor Entzücken die Arme, als ihm der Dichter seine neue Ode ankündigt. Ruft Flavius, seinen Verwalter, damit er dem Juwelier die Hundertachtzig gebe.
Flavius – was hat er denn? Querfalten auf der Stirn, als wär er unter den Rechen geraten. Und was zupft er dauernd an Timons Rock herum?
»Was gibt es denn, Flavius?«
»Ich muß Euch unter vier Augen sprechen, mein Herr.«
»Worum geht’s denn?«
»Um Euch. Um Eure Angelegenheiten, Herr.«
»Ich habe Gäste, Flavius, die mich beschenken! Die soll ich stehen lassen? Beleidige mich nicht, indem du mich als Mann ohne Manieren hinstellst!«
Beleidigen will Flavius seinen Herrn bestimmt nicht. Sorgen hat er. Aber er kommt nicht zu Wort. Also geht er und holt die Hundertachtzig für den Juwelier.
»Und bring die gleiche Summe für den Maler mit!« ruft ihm Timon nach.
»Aber mein Bild ist doch ein Geschenk!« protestiert der Maler.
»Und das Geld ist mein Geschenk«, kontert Timon.
Ja dann! Geschenke darf man bekanntlich nicht zurückweisen.
Aber wer kommt denn da gelaufen? Das ist doch der Diener von Ventidius. Ganz außer Atem ist er.
»Herr Timon! Herr Timon!« ruft er. »Verratet mich nicht an Euren Freund Ventidius! Er würde mich auspeitschen lassen, wenn er wüßte, was ich im Begriff bin zu tun!«
»Was ist denn passiert? Erzähl schon!«
Das ist passiert: Ventidius – der Freund des Timon, er sagt, sein bester –, Ventidius sitzt im Gefängnis. Er hat Schulden. Und kann sie nicht zurückzahlen. Darum hat man ihn eingelocht.
Und wieder lamentiert der Diener: »Ventidius würde mich auspeitschen lassen, wenn er wüßte, daß ich zu Euch gelaufen bin, um Euch sein Unglück zu melden. Denn lieber würde er sich den Mund zustöpseln, als vor Euch über seine Geldsorgen zu reden.«
»Auf wieviel belaufen sich denn die Schulden des Ventidius?« fragt Timon.
»Tausend.«
Der Maler grinst, der Dichter grinst, der Juwelier grinst. Flavius, Timons Verwalter, grinst nicht. Er weiß, was folgt.
»Flavius!«
»Ja, mein Herr?«
»Geh und hol tausend!«
Timon will sich endlich dem Fest und seinen Gästen zuwenden, da ruft ihn jemand zurück: »Halt!«
Es ist ein vornehmer Athener Bürger, den man im Haus des Timon nur selten sieht. Und wenn er sich doch das eine oder andere Mal an die Tafel unter dem wunderbaren Deckengemälde setzt, dann mit einer Miene verzweifelter Herablassung, wie man sie bei Altreichen beobachten kann, die mit hoffnungslos brennendem Neid auf die Neureichen herunterzublicken versuchen.
Ohne Timon zu begrüßen, herrscht er ihn an: »Steht ein gewisser
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