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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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nicht, und seine Gäste sind stolz auf ihre Sophistik.
    Endlich kann das Fest beginnen!
    Zur selben Zeit: außerordentliche Sondersitzung im Senat von Athen! Einziger Tagesordnungspunkt: Timon. Seine Schulden. Was? Timon hat Schulden? Ja, bei der Stadt. Die Quellen, von denen man meinte, daß sie nie versiegen, sie sind versiegt. Die Senatoren beschließen: Die Stadt gewährt keinen weiteren Kredit mehr.
    Der Gerichtsvollzieher wird ins Haus des Timon geschickt.
    Das Fest gestern nacht hat lange gedauert. Timon schläft noch. Also spricht der Gerichtsvollzieher mit Timons Verwalter.
    »Du kennst die Situation«, sagt er.
    »Ja«, seufzt Flavius. »Laß erst mich mit ihm reden. Timon ist ein guter Herr.«
    Der Gerichtsvollzieher hat Verständnis. Er sieht es auch nicht gern, wenn jemand vor ihm blaß wird und sich setzen muß.
    »Mein Herr«, sagt Flavius zu Timon. »Wir sind bankrott.«
    Wie reagiert Timon? Wird er blaß, muß er sich setzen, wie der Gerichtsvollzieher befürchtet? Oder beschuldigt er Flavius der Fahrlässigkeit? Gerät er in Panik? Nein. Nichts von alldem. Er lächelt. Er scheint beinahe glücklich. Er ist glücklich. Er ist am Ziel. Er hat investiert. Sein ganzes Vermögen hat er investiert. Er hat gegeben, nun will er haben. Und er will ein wenig mehr haben, als er gegeben hat.
    Timon stellt eine Liste zusammen. Namen von Bürgern der Stadt. Jeder von ihnen seit Jahren sein täglicher Gast. Jeder ein Freund. Timon hat nur Freunde. Jeder Bürger von Athen ist Timons Freund.
    »Geh zu ihnen, Flavius! Sag ihnen, Timon braucht Hilfe. Sie werden glücklich sein, mir helfen zu dürfen. Du wirst sehen, am Abend sind wir reicher, als wir es je waren.«
    Flavius spricht bei Nummer eins vor. Der Mann wohnt in einem Palast, nach Timons Palast der prächtigste der Stadt. Duftiger Vorgarten, rechts und links des Eingangs Springbrünnlein, Veranden, Terrassen und Balkone für jeden Sonnenstand.
    »Flavius! Freund!« so wird Timons Verwalter hier begrüßt. »Treuer Flavius, Freund meines Freundes! Hat dich Timon geschickt? Hast du Geschenke mitgebracht? Ich sehe deine Hände leer. Bist du mit dem Wagen gekommen? Ein so großes Geschenk hat Timon für mich?«
    »Ich bringe keine Geschenke«, sagt Flavius.
    »Nicht? Will Timon ein Fest für mich geben? Mir allein zu Ehren?«
    »Nein. Timon braucht Hilfe. Er ist bankrott.«
    Da braucht Nummer eins eine Weile, um durchzurechnen, was das für ihn bedeutet. »Und was will er von mir?«
    »Geld.«
    »Geld! Natürlich Geld! Alles dreht sich nur ums Geld in unserer heutigen Zeit! Ich habe ihn immer gewarnt. Du bist Zeuge, Flavius. Wie du lebst, Timon, habe ich gesagt. Immer die vielen Leute in deinem Haus, die sich durchfüttern lassen. Ich bin zum Frühstück gekommen, um ihn zu warnen, und zum Mittagessen und dann am Abend noch einmal. So große Sorgen habe ich mir um ihn, meinen Freund, gemacht, daß ich sogar meine Nächte geopfert habe, um ihn zu warnen. Nein, Flavius, mehr kann ein Freund nicht tun.«
    Nichts gibt es.
    Flavius spricht bei Nummer zwei vor. Der wohnt in einer strengen Villa, nur die feinsten Materialien wurden hier verarbeitet, Stahl, Marmor, Glas, amerikanische Eiche. Der Mann ist wie sein Haus, streng in Anthrazit und Grau gekleidet, getönte Brillengläser. Bestellt und geliefert von Firmen, die nie in Mode waren und deshalb auch nie aus der Mode kommen.
    »Au!« sagt Nummer zwei.
    »Er braucht Eure Hilfe«, sagt Flavius.
    Nummer zwei ist ein Feigling. Er tut, als wäre er eine Maschine, alles Notwendigkeit, nichts Willkür und Verzierung. Er hat nämlich Angst vor seinem feigen Herzen; daß es den, der es in seiner Brust trägt, blamiert, wenn er sich zeigt, wie er ist. Aber wie ist er? So ist er: »Flavius«, druckst er geheimnisvoll in seinem eigenen Haus herum. »Sag dem Timon …« Nun holt er eine Rolle mit Scheinen aus der Tasche, zieht einen Zehner heraus, zieht noch einen Zehner heraus, überlegt, zieht einen Fünfer heraus. »Für deine Mühe, Flavius. Sag Timon … sag einfach: Ich war nicht da.«
    Das Geld läßt Flavius liegen.
    Dann spricht er bei Nummer drei vor. Dick ist der. Die Hälfte der Kilos geht auf Timons Konto. Ringe trägt er an den Fingern. Die gehen alle auf Timons Konto.
    »Und warum kommst du ausgerechnet zu mir?« fragt er.
    »Weil Ihr Timons Freund seid«, antwortet Flavius.
    »Freund! Freund! Klar bin ich sein Freund! Will er mir auf die Moralische kommen? Es gibt ja schließlich auch noch andere Freunde. Die mehr

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