Shakespeare erzählt
Boden fest. Mit den Händen schaufelt er sich ein Loch. Eine Pflanze will er werden. Wurzeln will er schlagen. Ein verrückter Baum, den die Natur in ihrer verehrungswürdigen Gleichgültigkeit verdorren lassen wird.
Aber Achtung! Wir sind im Wald von Athen. Wir wissen, einen solchen Wald gibt es auf der Welt kein zweites Mal. Zauber und Wunder sind hier möglich, die schreiendsten Zufälle sind an der Tagesordnung. Timons Finger stoßen auf etwas Hartes. Es ist eine Kiste. Und was befindet sich in dieser Kiste? Gold!
»Ah! Der Verderber!« Timon häuft das Gold vor sich auf. »Die Natur hat das Scheckbuch nicht gemacht. Aber dich hat sie gemacht, Gold! Wozu? Damit du den matten Schimmer an Güte in unseren Seelen, falls es so einen Schimmer je gab, sofort auslöschst? Du bist der Verderber!«
Nein, nicht einen Augenblick lang kommt Timon die Idee, sein bisheriges Leben fortzuführen. Das Gold würde ausreichen für die breiteste Verschwendung bis an sein Lebensende. Ihm war nie an Luxus gelegen. Liebe wollte er. Was nützt ihm Gold, wenn es sich nicht in Liebe investieren läßt?
Aber vielleicht läßt es sich in Haß investieren …
Es spricht sich herum, daß Timon Gold gefunden hat. »Er ist eben doch ein Glückspilz!« rufen die einen aus. »Wir haben es immer gewußt und immer gesagt!« Sie haben es nicht gewußt und nicht gesagt, jedenfalls nicht seit Timons Fall. Das Gegenteil haben sie gesagt. Aber nun – nun kann sich alles schnell wieder wenden, und dann ist es gut, zu denen zu gehören, die schon immer … Andere wiederum glauben nicht an Timons Glück. Sie glauben nicht daran, weil sie es ihm nehmen wollen. Das sind die Diebe.
Die Diebe fallen über Timon her.
Der aber begrüßt sie wie Freunde: »Was wollt ihr mir nehmen? Ich gebe euch alles freiwillig. Greift zu! Ich habe auf euch gewartet. Ich wußte doch, als erstes werden die kommen, die es am eiligsten haben, verdorben zu werden.«
»Wir sind Diebe«, sagen die Diebe, »und Diebe sind eben so.«
»Ihr seid Diebe?« höhnt Timon. »Billige Diebe seid ihr! Was ist das Beste, das es gibt?«
»Gold«, sagen die Diebe. »Gold ist das Beste. Darum sind wir hier.«
»Kleindenker!« beschimpft sie Timon. »Das Beste ist das Leben! Nehmt Leben! Das Gold kriegt ihr als Prämie!«
»Aber wenn wir Leben nehmen, dann sind wir Mörder.«
»Ja!« ruft Timon aus. »Morden ist Stehlen in Konsequenz! Steckt mein Gold ein! Soviel ihr tragen könnt! Kauft Dolche und Gift dafür. Äxte und Spieße. Und dann nehmt Leben! Macht die Stadt nieder!«
»Wenn Morden und Stehlen gleich sind«, sagen die Diebe, »dann wollen wir keine Diebe mehr sein.«
Und sie schleichen aus dem Wald, nachdenklich, und das Gold lassen sie liegen.
Timon will sich schon ans Aussäen machen. Damit in diesem Zauberwald vielleicht Bäume wachsen aus Goldbarren, Bäume, die böse Früchte tragen. – War da nicht Pferdegetrappel zu hören? Und jetzt: Waffenklirren, Soldatenfluchen. Tatsächlich! Ein kleines Heer zieht durch den Wald. Und das Heer wird angeführt von Alkibiades.
»Was tust du hier?« fragt Timon.
»Was tust du hier?« fragt Alkibiades zurück.
Sie erzählen sich gegenseitig ihre Geschichte. Alkibiades zürnt der Stadt Athen. Weil sie undankbar ist. Grausam und ungerecht. Er hat einen Freund. Einen Freund, wie man einen zweiten nicht hat. Dem wird eine Sache unterstellt. Er soll jemanden um die Ecke gebracht haben. Alkibiades ist von seiner Unschuld überzeugt. Alkibiades behauptet seine Unschuld! Alkibiades begab sich höchstpersönlich in den Senat. Er legte sein Wort auf die Waagschale. Er bürgte für seinen Freund. Er stehe, sagte er, mit dem Gewicht seines Namens hinter seinem Freund und halte ihn fest. Die Senatoren schauten nur und schüttelten den Kopf. Ob sich die Herren denn nicht erinnern, empörte sich Alkibiades. Woran erinnern? Woran erinnern! An das, was Alkibiades für die Stadt getan hat! Er ist der General! Unter seinem Schutz stand die Stadt! Und unter seinem Schutz steht nun der Freund! Aber die Senatoren verzogen die Münder zu Hufeisen. Das eine habe nichts mit dem anderen zu tun, sagten sie. Dann habt ihr es von nun an mit mir zu tun! Damit beendete Alkibiades die Verhandlung.
Das ist seine Geschichte. Nun zieht er gegen Athen.
»Gut«, sagt Timon. »Aber.«
»Was aber?«
»Dein Heer ist zu schwach! Hier, nimm Gold! Nimm Gold, soviel deine Pferde tragen können! Kauf dir dafür die grausamsten Halunken ein! Ruf die gierigsten Mörder des
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