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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Schatten. Wenn du am heißesten Tag des Jahres im Schatten sitzt und auf die schaust, die in der Sonne herumtollen, dann fängst du nach einer Zeit zu frieren an, und dein ehedem durchaus wohlgemutes Gemüt wandelt sich in Richtung Bitternis. Dann kommt noch hinzu: Der Ehrgeiz ist eine Kraft, die im Schatten besser gedeiht als in der Sonne. Der Herzog hatte keinen Ehrgeiz, sein Bruder schon.
    Der Herzog wurde einfach nur »Herzog« genannt, der Bruder hieß Friedrich.
    Friedrich, nachdem er über Jahre hinweg dem Sommer außerhalb seines Herzens ganz ohne jede Hoffnung zugesehen hatte, holte eines Tages tief Luft, spannte die Muskeln, warf einen hoffnungsvoll begehrlichen Blick auf den Thron – und: Das genügte. Der Herzog räumte das Feld und zog mit seinen Getreuen in den Ardennerwald. Es gab nicht einen im Land, der da behauptet hätte, der Herzog sei geflohen oder gar verbannt worden. Er war gegangen, hatte mit der Schulter gezuckt und war einfach gegangen.
    Friedrich empfand den kraftlos kampflosen Rückzug seines Bruders als Demütigung. Was dem Pessimisten ohne Mühe in die Hände fällt, das schätzt er nicht, dem mißtraut er. Was hat der mehr als ich, daß er mit weniger zufrieden ist? Tatsächlich hieß es: Auch wenn ihn Friedrich auf Knien und singend darum bäte, der Herzog würde nicht in sein Schloß zurückkehren. Der Wald, der Ardennerwald, sei nämlich das Paradies.
    »Was ist dort besser als hier?«
    »Nichts. Aber alles ist gut.«
    Sogar im Schlechten erwischt er es besser als ich im Guten, dachte sich Friedrich.
    Friedrich fühlte sich einsam. Wenn er Inventur in seinem Herzen machte, mußte er sich eingestehen, daß es da keine einzige Kammer gab, die rein weiß oder gar rein golden ausgemalt war. Es gibt nichts, was ganz und gar gut ist an mir, sagte er sich. Und weil ich nicht gut bin, geht es mir auch nicht gut. Allen anderen schien es gutzugehen; er hatte lediglich die Hoffnung, daß es ihm eines Tages bessergehen könnte. Hoffnung aber ist etwas für Nichts.
    Er lud einen der Klügsten ins Schloß ein und fragte ihn: »Wie geht es dir?«
    »Gut geht es mir«, sagte der.
    »Und du hoffst nicht, daß es dir bessergehen könnte?«
    »Nein.«
    »Was hoffst du überhaupt?«
    »Nichts, um Himmels willen!«
    »Willst du denn überhaupt nichts hoffen?«
    »Nein, nein, um Gottes willen! Weißt du denn nicht, was Hoffnung ist?«
    »Sag es mir!«
    »Wer gut ist, kennt sie nicht, wem es gutgeht, der braucht sie nicht.«
    Friedrich war verzweifelt.
    »Siehst du«, sagte der, der einer der Klügsten war. »Die verzweifelte Hoffnung ist die einzig wirkliche Hoffnung. Da hast du es!«
    Eine Mode kam auf, nämlich: Niemand wollte, daß es ihm bessergehe. Mancher Bursche und manches Mädchen, denen es bereits besserging, meinten, es genüge, wenn es ihnen nur gutgehe. Sie verließen ihre aussichtsreiche Zukunft und folgten dem Herzog nach. Die Eltern lockten mit Barem, die Lehrer drohten mit Karrieren, es nützte alles nichts. Mochte es den Lehrern besser und den Eltern am besten gehen, gut ging es denen im Ardennerwald. Allein das Wort »Ardennerwald« bewirkte, daß die Augen einer ganzen Generation aufleuchteten.
    »Geh in den Ardennerwald! Schneide eine Kerbe in einen beliebigen Baum, halt dein Töpfchen darunter, und mir nichts dir nichts ist es voll köstlichem Sirup! Leg dich auf eine Lichtung, Augen zum Himmel! Kein Theater kann dir solche Pracht bieten. Trink vom Wasser der Quellen, pflück Himbeeren vom Strauch, dreh das Wildbret am Spieß! Schlaf im Moos!«
    Da rumpelte es in einer bestimmten Herzkammer, als war ein Regal mit Äxten und Hämmern, mit Spießen und Ketten umgefallen. Es war die Kammer, in der der Haß aufbewahrt wird. Und eines Morgens erwachte Friedrich und wußte: Ich hasse meinen Bruder! Und von da an ging es ihm besser.
     
    »Warum sind die kleinen Tiere meistens braun?«
    »Vielleicht weil der Boden auf sie abfärbt.«
    »Aber auch die großen Tiere sind meistens braun.«
    »Vielleicht, weil sie an den Baumstämmen streifen.«
    »Und warum sind die Baumstämme ebenfalls braun?«
    »Vielleicht weil die kleinen Tiere das Braune vom Boden hinauftransportieren.«
    Über solche Themen unterhielt man sich im Ardennerwald. Nicht über gesicherte Pensionen oder Aktienfonds oder Wohnbaukredite oder politische Programme. Es wurde nicht gestritten, niemand war wegen niemandem beleidigt, und keiner pochte darauf, recht zu haben. Ja, hier herrschte tatsächlich das Paradies.
    Der Herzog

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