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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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seinem Charakter sei angemerkt: Er hat ein Imageproblem. Er tut hart, um sich von seinem Bruder abzusetzen. Die Ringkämpfe hat er eingeführt. Unter der Devise: Mein Bruder liebt das Weiche, ich das Harte. Nur, als er den Gegner von Charles dann sah, schmolz seine Härte dahin. Ein hübscher, zarter Bursche ist das, und Chancen gegen den Rippenentzweibrecher hat er keine, und ewig schade wäre es um die schönen Rippen.
    Friedrich wendet sich an Tochter und Nichte: »Celia, Rosalinde, schaut ihn euch doch an! Das wird kein guter Kampf werden. Setzt Charme und Vernunft ein, um ihn davon abzuhalten!«
    Ein so zerbrechlicher junger Mann, dieser Nobody! Nur ein Blick genügt, und Rosalinde hat sich in ihn verliebt. Aber mehr als ein Blick war ebenfalls nicht nötig, damit sich der junge Kämpfer in Rosalinde verliebte. Und das geht ja unmöglich zusammen, Verliebtheit und Feigheit.
    »Und wenn es mein Untergang wäre, die Ehre befiehlt mir …« Und so weiter.
    »Was versteht Ihr unter Untergang?« fragt Rosalinde.
    Da stützt der hübsche Kämpfer den Kopf in seine Hände. »Wenn ich sterbe«, sagt er, »bringt das niemandem ein Leid, denn ich bin ganz allein auf der Welt.«
    Er ist ja wie ich, denkt Rosalinde, und weiß gleichzeitig, daß es nicht so ist, denn sie hat ja Celia, die Freundin, und den Vater hat sie auch, nur ist der im Augenblick nicht verfügbar. Aber es tut ihr wohl, in dem jungen Mann ein gemeinsames Schicksal zu erkennen, auch wenn sie ihr eigenes Schicksal dafür ein wenig umdeuten muß. Sie nimmt ihr Kettchen vom Hals und hängt es dem jungen Kämpfer um.
    »Wenn meine Augen Donnerkeile wären, ich wüßte, wen sie treffen«, sagt sie.
    Und wer weiß, vielleicht waren ihre Blicke wenigstens Faustschläge, denn es geschieht ein Wunder: Der junge Mann siegt.
    Friedrich überreicht den Siegerkranz: »Wie heißt du?«
    »Ich bin Orlando, der Sohn von Roland de Boys.«
    Da schrickt Friedrich zurück. Roland de Boys war der beste Freund seines Bruders, des Herzogs. Roland de Boys ist gestorben, und noch auf dem Totenbett soll er gesagt haben, Friedrich könne dem Herzog nicht das Wasser reichen. Darum schiebt Friedrich den Sieger jetzt grob beiseite.
    »Ich sag es, wie es ist. Ich konnte deinen Vater nicht leiden, und er konnte mich nicht leiden, und darum kann ich dich auch nicht leiden.«
    Und weil er gerade dabei ist, streckt er den Finger auch gleich gegen Rosalinde aus: »Und dich will ich schon gar nicht mehr sehen!« fährt er sie an. Und er denkt sich: Warum lieben alle meinen Bruder, warum nicht mich?
    Celia, zwischen ihrem Vater und ihrer Cousine, entscheidet sich für Rosalinde. »Wenn sie geht, geh ich mit ihr!«
    Das tut dem Friedrich weh; aber zwischen seiner Tochter und seinem Image entscheidet er sich für Letzteres.
    »Dann geh!«
    Wohin sollen sie gehen? Natürlich in den Ardennerwald! Und die beiden sind ja keine armen Emigranten, sie rüsten sich ordentlich mit Mitteln aus, Geld, Gold, Edelsteine. »Von irgend was muß der Mensch ja leben.« Zwei weltfremde, besser: waldfremde Mädchen, die sich nicht vorstellen können, daß es im Forst der Ardennen weder Supermärkte noch Imbißstationen gibt.
    Auf alle Fälle romantisch stellen sie sich den Wald vor. Romantik bedeutet immer auch irgendwie Gefahr. Gefahr besteht vor allem in zwei Punkten: was das Geld betrifft und was das Geschlecht betrifft. Also besorgen sie sich vom Gesinde Bauernkleider.
    »Sollen wir uns bewaffnen?« fragt Celia.
    »Wir sind zwei Mädchen«, sagt Rosalinde, »und mit Waffen sind wir zwei bewaffnete Mädchen. Gut wäre, wenn wir ein Mädchen und ein Bursche wären.«
    »Dann wären wir aber nicht wir.«
    »Das ist richtig«, sagt Rosalinde, »aber vielleicht ist es auch besser, wir sind nicht wir.«
    Das ist Rosalindes Idee: Sie tauscht ihre Bauernmädchenkleider gegen Bauernburschenkleider, und sie nennt sich von nun an Ganymed, und Celia soll Aliena heißen, und Aliena ist Ganymeds Schwester.
    Als der Morgen anbricht, teilen sie die Büsche und betreten den Wald.
    Bis zum Mittag wächst die Freude von Schritt zu Schritt. Das Licht ist so angenehm im Wald! Wenn die Sonne ihre Strahlen durch die Äste schickt, so etwas haben sie noch nie gesehen! Und die Geräusche! Da ein Vogelpiepen, dort das Hämmern eines Spechtes, dann das heitere Knarren eines Baumstammes und das Zerspreißeln der kleinen Zweige unter den Schuhen!
    Gegen Mittag wird die Freudenskurve flacher. Viel haben sie kennengelernt in den paar

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