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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Cäsar.«
    »Niemand wird dir ein Leid antun«, spricht Brutus, als wäre er bereits der Gleiche unter den Gleichen.
    »Gut, dann bitte ich dich nur um eines.«
    Das macht den Cassius so rasend, diese Ruhe, diese Gelassenheit, diese Gefaßtheit – diese Größe! »Was willst du?«
    »Was willst du?« fragt nun auch Brutus, denn auf die Frage des Cassius hat Antonius nicht geantwortet.
    »Laß mich die Leichenrede auf ihn halten. Vor dem Volk. Das hat er verdient.«
    Cassius schreit Brutus an: »Das wirst du nicht zulassen! Antonius wird das Volk gegen uns aufhetzen!«
    Brutus aber schiebt Cassius beiseite. »Marcus Antonius hat eine Bitte an mich gerichtet, und Marcus Antonius hat für die Ehre Roms gekämpft. Seine Bitte wird gewährt. Aber! Es soll eine Leichenrede sein und keine Anklage. Du sollst uns nicht verurteilen, Marcus Antonius! Allerdings werde ich zuerst zum Volk von Rom sprechen.«
    War da die Andeutung einer Verneigung? Der eiserne Marcus Antonius verneigt sich vor Brutus, dem Denker im Konjunktiv? Vielleicht haben wir uns getäuscht. Das vornehme Geplauder der beiden macht den Cassius krank.
    »Du begehst einen Fehler«, warnt er den Brutus.
    Aber Brutus schaut nun auch durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht da.
    Brutus richtet das Wort an das Volk von Rom. Was er im Konjunktiv gedacht hat, spricht er nun im Indikativ aus: Daß Cäsar ein großer Mann war. Daß Cäsar ihn, Brutus, geliebt hat. Daß er, Brutus, den Cäsar geliebt hat.
    Daß er, Brutus, Rom liebt. Daß in Rom das Volk herrscht. Daß Cäsar die Republik abschaffen wollte. Daß dann das Volk versklavt worden wäre. Daß dies seine, des Brutus, Sorge war. Daß leider der Geist im Kopf wohnt, der Kopf aber auf dem Leib sitzt. Und so weiter. Und am Schluß: »Wir haben Rom vom Tyrannen befreit.«
    Und das Volk? Es jubelt dem Brutus zu.
    Wie kann das sein? Erst jubelt es Cäsar zu, nun seinem Mörder? Das Volk ist ein bemerkenswerter Haufen. Wenn das Volk still ist, dann sind es nur Leute, die herumstehen. Also muß es laut sein, um Volk zu sein. Lautsein aber ist etwas ungegliedert Amorphes. Bei Lautsein gibt es nur zwei Zustände: Wut oder Jubel. Das Volk aber wählt nicht. Es nimmt, was ihm dargeboten wird. Brutus servierte Jubel, und das Volk jubelte.
    Nun tritt Antonius auf die Stufen des Senats.
    »Mitbürger! Freunde! Römer! Hört mich an!«
    Brutus sei so freundlich gewesen, ihn ein paar Worte zum Abschied Cäsars sprechen zu lassen. Cäsar habe sicher viel Übles getan, deshalb sei es wohl recht gewesen, ihn zu töten. Brutus behaupte, Cäsar sei herrschsüchtig gewesen, und wenn Brutus das behaupte, sei es wohl wahr – »denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann!«. Cäsar habe viele Gefangene aus seinen Kriegen nach Rom geführt und für sie Lösegeld eingetauscht, das er, wie jeder wisse, Rom habe zugute kommen lassen, was nicht unbedingt nach Herrschsucht aussehe, aber Brutus sage, Cäsar sei herrschsüchtig gewesen, also muß es wahr sein – »denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann!«. Er selbst, Antonius, habe Cäsar weinen sehen, wenn er vom Leid eines römischen Bürgers gehört habe, was ja auch nicht ein Zeichen von Herrschsucht sei. Dann wolle er, Antonius, auch noch daran erinnern, daß er Cäsar dreimal die Krone gereicht und daß Cäsar dreimal die Krone zurückgewiesen habe, ob das wohl Herrschsucht sei, ja, womöglich sei das Herrschsucht, denn Brutus behauptet, es sei Herrschsucht – »und Brutus ist ein ehrenwerter Mann!«. Gerade gestern habe er, Antonius, das Testament von Cäsar gesehen, das könne er an dieser Stelle leider nicht vorlesen, obwohl er es gerne vorlesen würde, denn wenn die Bürger Roms erführen, was Cäsar in seinem Testament angeordnet habe, nun gut, er werde es doch vorlesen, da stehe nämlich geschrieben, daß Cäsar all seine Gärten dem Volk von Rom schenke, damit darin die Mütter mit den Kindern spielen und die Liebenden spazieren und die Alten Ruhe finden könnten. »Das war Cäsar! Aber die hier, seine Mörder, behaupten, er sei ein herrschsüchtiger Tyrann gewesen. Ich überlasse es euch, dem Volk von Rom, zu beurteilen, ob sie recht haben!«
    Brutus ist bereits geflohen. Mit ihm Cassius und Casca und die anderen. Marcus Antonius hat dem Volk Wut geboten, und das Volk hat Wut gewählt. Diesmal jubelt es nicht, diesmal schreit es nach Rache. Cäsars Tod soll gerächt werden! Da wußten die Verschwörer, ihre Sache war verloren.
     
    Antonius schließt sich mit Octavius und Lepius

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