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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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zusammen. Sie jagen die Verschwörer. Sie stellen sie. Cassius nimmt sich das Leben. Brutus nimmt sich das Leben.
    Die Sieger teilen sich die Macht. Lepius soll Ausgleich schaffen zwischen Antonius und Octavius; aber Lepius ist schwach, er ist vorgeschoben, und er weiß es. Octavius ist ein schmallippiger, undurchsichtiger Bürokrat. Marcus Antonius überstrahlt alle. Antonius liebt die Menschen, liebt die Frauen, liebt gutes Essen und guten Wein. Octavius liebt nur die Macht. Das ist ein Vorteil, wenn man die Macht ganz und allein ergreifen will. Am Ende gelingt es Octavius, sowohl Lepius als auch Antonius auszuschalten. Die Zeit des Triumvirats ist vorüber.
    Octavius wird zum Kaiser gekrönt. Er nennt sich Augustus.

Ende gut – alles gut
    Die Menschenrechte wachen darüber, daß eine hohle Nuß ungehindert das Leben einer hohlen Nuß führen darf, wenn sie das will.
     
    Der junge Graf Bertram von Roussillon ist eine hohle Nuß: ein dünkelhafter Schafskopf, den niemand mag außer seiner Mutter. Sein Vater, der Graf von Roussillon, angesehen, berühmt für seine Gerechtigkeit und seinen Scharfsinn, inzwischen alt und bresthaft, hat längst keine Hoffnung mehr, daß bei seinem Sohn die richtigen Knöpfe aufgehen.
    »Es wird nichts aus unserem Bertram werden«, klagt er. »Aber seien wir froh, daß nichts aus ihm wird! Auf welchem Posten auch immer, er würde nur Unheil anrichten. Er ist faul und dumm, meint aber, er mühe sich ab und sei gescheit. Er schaut auf alle herab und merkt nicht einmal, daß unter ihm gar niemand mehr steht. Er wird bis zu seinem Ende zu Hause hocken als Kröte auf dem Stein über dem Herzen meiner lieben Frau.«
    Die Gräfin Roussillon ist eine feine Dame. Jeder mag sie. So ein liebevoller, sanftmütiger Charakter! Immer darum bemüht, in den Herzen der Menschen den guten Kern freizulegen! Was aber nicht heißt, daß sie sich die Nase vor dem faulen Fleisch rundherum zuhält; im Gegenteil, die Gräfin verfügt über Urteilskraft und Kritikermut. Dabei gelingt ihr fast immer das Kunststück, tadelnd zu loben. Wenn sie sagt: »Heute ist der Barsch gründlich mißlungen!«, dann klingt das in den Ohren des Kochs nicht wie eine Anfeindung, sondern wie ein Lob; soll heißen: Ich halte mehr von deiner Kochkunst als du selbst, du bist ein Genie, weißt es nur selber nicht.
    So eine feine Frau, die Mutter! So ein feiner Mann, der Vater! Wie kommen die zu so einem Sohn!
    Dann stirbt der Graf. Und wer da glaubt, der Tod des Vaters versetze Bertram einen heilsamen Stoß vor die Stirn, so daß die Tassen in seinem Kopf wieder gerade stehen, der irrt. Bertram scheint das Unglück gar nicht zu berühren. Er grinst, wie er immer grinst; er spielt vor den Stallknechten den Philosophen, wie er es zum Gaudium derselben immer schon getan hat; er schwadroniert über Dinge, von denen er samt und sonders nichts versteht; er bringt dem Geiger das Geigen bei und der Näherin das Flicken. Selbst der große Tod hat es nicht geschafft, auch nur ein Scheibchen von der Präpotenz des jungen Bertram abzusicheln.
    Der Graf von Roussillon war ein Freund, nein: ein Herzensfreund, des französischen Königs, und als der König von dessen Tod erfährt, schickt er sofort einen Boten zum Schloß der Roussillons.
    »Ich, der König von Frankreich, wünsche, daß Bertram nach Paris an den königlichen Hof komme, wo ich ihn hätscheln und erziehen möchte, so wie ihn sein Vater gehätschelt und erzogen hat. Ich will ihm von nun an den Vater ersetzen.« – Daß dieser Sohn sehr weit vom Stamm gefallen ist, weiß der König offensichtlich nicht.
    Die Mutter hat Zweifel. Einerseits, so sagt sie sich, ist es ganz gut, wenn Bertram hinaus in die Welt zieht, neues Leben kennenlernt, vielleicht irgendwo auf fruchtbaren Widerstand stößt – und gut ist auch, denkt sie im geheimen, wenn ich ihn für eine Zeit los bin. Andererseits macht sie sich Sorgen. Nicht Sorgen, daß Bertram etwas zustoßen könnte. Aber wenn man sich vorstellt, was er am Königshof in Paris alles anstellen könnte!
    »Willst du?« fragt sie ihren Sohn.
    Bertram zuckt mit den Achseln. »Warum nicht.«
    Die Mutter blickt ihn lange an. Bertram ist wohl der einzige Mensch auf der Welt, der nur mit den Achseln zuckt, wenn ihn der König zu sich einlädt.
    »Ist in Paris mehr los als hier?« fragt er dann obendrein.
    »Ich glaube schon«, sagt seine Mutter. Bertram ist sicher der einzige Mensch in Frankreich, der in einem Kaff lebt und eine solche Frage stellt. Die
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