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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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hatte keine Gangschaltung, von einer Federung zu schweigen, und als ich einmal ein Erdloch übersah, zerdrückte ich mir fast die Eier. Stöhnend ließ ich mich ins Gras fallen, und obwohl ich den Mund weit aufriss, kriegte ich kaum Luft. Hinter den geschlossenen Lidern zuckten bunte Muster.
    Da hörte ich ein Moped, ganz nah. Jeder erkannte den Auspuff sofort. Es war Raskin, der hier fast täglich auf seiner verbeulten Maschine herumstocherte, ohne Nummernschild und natürlich auch ohne Führerschein. Einen Moment lang hoffte ich, er würde mich nicht sehen; der Ginster wuchs ziemlich dicht. Doch dann roch ich schon das Zweitakterbenzin und musste husten von dem hochgewirbelten Staub. Zigarette im Mund, drehte er den Zündschlüssel um und blickte auf die Hände zwischen meinen Knien. »He, Timtim, du grüne Gurke, was machst ’n du hier?« Der Motor stotterte ein bisschen nach. »Wichsen?«
    Ich fand ihn okay. Er hatte blonde Locken, von seiner Mutter geschnitten, eine krumm verwachsene Narbe über der Braue und schlitzartig schmale Augen, und obwohl er fast fünfzehn war, ging er erst in die siebente, wie ich; sie hatten ihn drei Mal nicht versetzt. Aber das war ihm egal; er wollte nur die Schule hinter sich bringen, um dann zur See zu fahren, wie er sagte. Er brach in die Lauben der Schrebergärtner ein, prügelte sich und soff wie ein Loch, und trotzdem hatte er immer Schnitte, was ich eigentlich nicht verstand; kaum ein Rummel oder ein Schützenfest, auf dem er nicht mit einer anderen knutschte.
    »Wo warst du denn heute«, fragte ich und zog eine Zigarette aus der Schachtel, die er mir hinhielt, eine Roth-Händle. »Der Bramhoff hat dich eingetragen. Du kriegst in Algebra bestimmt eine sechs.«
    In seinen Lippenwinkeln klebte getrockneter Speichel, und das Nylonhemd war ziemlich weit aufgeknöpft, fast bis zum Nabel. Beide Stiefelspitzen auf dem Boden, ruckte er hin und her auf der Sitzbank und zupfte vorne an seiner Hose herum. Dabei grinste er mich an, und ich schüttelte den Kopf und sagte: »Schon gut, brauchst mir gar nichts erzählen. Wahrscheinlich hast du die Doppi flachgelegt, oder?«
    Weil sie mit ihren extra-knackigen Arschbacken einen Mast halten konnte und immer enge Pullover in Schockfarben trug, waren fast alle Jungs scharf auf Doris Pasewalk, jedenfalls die in seinem Alter. Doch sie wollte nichts mit ihnen zu tun haben; lieber blieb sie unter ihren Freundinnen, pickeligen Trutschen, zwischen denen sie wie eine Rose aussah. Dabei konnte sie ganz schön gemein sein.
    »Du hast vielleicht Vorstellungen«, sagte Raskin und gab mir Feuer. »Ich spiele doch nicht mit Puppen! Wenn ich schon diese Einser-Mädchen sehe, die Hand in Hand zum Klo gehen, krieg ich das Würgen. Die tun wer weiß wie kostbar und riechen auch nur nach Sardellenpaste. Und dann sind sie so dämlich und werden schwanger, und du musst bis zur Rente blechen.« Er stieß den Rauch aus dem Mundwinkel und kratzte sich die glatte Brust. »Da lob ich mir die reiferen Kaliber!«
    Wahrscheinlich sprach er aus Erfahrung. Einer seiner Brüder hatte ein uneheliches Kind, und dauernd stand die Polizei vor der Tür, weil er mit den Raten, oder wie das hieß, im Rückstand war. Aber ich fand Doris Pasewalk trotzdem wunderschön. Sie war die beste Läuferin in unserer Schule und hatte schon mehrere Urkunden bei den Sportfesten gekriegt, und als ich ihr einmal beim Trainieren auf der Aschenbahn zusah, kam sie an die Barriere, und sagte: »Mensch, Timtim, glotz dir nicht die Augen aus, du bist noch viel zu jung! Hol mir lieber Zigaretten.«
    Mein richtiger Name ist Tim Theissen, aber wenn ich aufgeregt bin oder Angst habe, stottere ich ein bisschen, und darum nennen mich alle Timtim. Einen fleckigen Lappen in der Hand, drehte Raskin die Zündkerze fest. »Was meinst du denn mit reifere Kaliber«, fragte ich. »Stimmt es also doch, dass du mit der alten Morian poussierst?«
    Er machte ein Gesicht, als schiene ihm die Sonne in die Augen. Zwischen den unteren Zähnen gab es einen aus Gold, und man erzählte sich, dass der von seinem toten Vater war, ein Zechenunglück. Er trug auch seine Schuhe auf.
    Frau Morian lebte in einem alten Fachwerkhaus an der Dorstener Straße. Sie hatte früher in einer Bar gearbeitet, in Köln, aber meine Mutter tippte sich immer an die Stirn, wenn sie »als Sängerin« sagte, und ihre Freundinnen, die mittwochs zum Kaffeetrinken kamen, schmunzelten dann. »Poussierst?«, fragte Raskin. »Was soll denn das sein. Erstens

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