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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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doch immer noch regnete es, und Lew schloss die Tür hinter sich und sagte: »Crappy weather, I’m sorry for that.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, ein fester Griff, und blickte sie durchdringend an. »But the God can’t wait, is’nt it?« Dann zwinkerte er, was irgendwie spitzbübisch aussah, und sie musste lächeln.
    Auf dem Rückweg war die Straße plötzlich übersät von Fröschen, die langsam von einem Reisfeld zum anderen wechselten. Die vielen Augen und glitschigen Rücken funkelten im Laternenlicht, und die Mönche unterbrachen ihren Gleichschritt und staksten spreizbeinig oder nur mit den Zehen auftretend zwischen den erstaunlich fetten Tieren herum. Manchmal bückten sie sich auch und schoben sie sanft beiseite, und als Marisa dabei ein junger Frosch auf den Fuß sprang und gleich wieder abglitt – er fiel wie ein Spielzeugtier auf den Rücken –, schrie sie vor Schreck, ein vergnügter Laut. Doch David, schon unter dem Vordach des Tempels, wo er sich die Brille mit einem Geschirrtuch putzte, runzelte die Brauen.
    Ihr Anzug war völlig durchnässt; unauffällig zupfte sie den Stoff über dem Busen locker. Es gab nur ein Schlafhaus für Männer; die wenigen Frauen, die in das Kloster kamen, mussten im Haupttempel übernachten, auf einer Futon-Matratze im Büro. Nikolai zeigte ihr, wo überall Feuerlöscher hingen, wo sich der Sicherungskasten befand und wie man die gläserne Vitrine auf dem Sekretär des Roshi öffnete. Ein puppengroßer Bodhisattva aus dem zwölften Jahrhundert stand darin, eine gesichtslose Skulptur aus poröser Lava, und sollte bei einem Erdbeben mit ins Freie genommen werden. Dann wünschte er eine gute Nacht und folgte den anderen ins Schlafhaus; dabei rauchte er eine Zigarette aus der hohlen Hand.
    Im Garten, offenbar von einer Zeituhr reguliert, erloschen die Lichter. Auch David schulterte seine Tasche, und als sie ihn fragte, ob noch irgend etwas zu essen darin sei, Schokolade oder wenigstens ein Kaugummi, schüttelte er den Kopf, was beinahe mitleidig aussah. »Übermorgen sind wir ja wieder im Hotel«, sagte er, küsste ihr die Stirn und trat in den Regen. Erneut klingelte das Handy, ohne dass er es beachtete, und sie hatte fast schon die Tür geschlossen, da drehte er sich noch mal um. »Ach, übrigens ... Weißt du, warum man in der Antike manche Frauen in Tempeln schlafen ließ?«
    »Nein«, rief sie verärgert, nicht nur über seinen Ton. »Keine Ahnung. Aber ich vermute, weil sie abnehmen sollten?«
    Die dünne, mit irgendeiner Pergamentart bespannte Tür schepperte im Rahmen. Sie schob den Riegel vor und trug ihren Schalenkoffer in das Büro. Obwohl keine einzige Lampe brannte, war es nicht wirklich dunkel in den Räumen. Auf den polierten oder lackierten Gegenständen jedenfalls lag ein silbriger, vielleicht aus einem fernen Ort kommender, von den Reisfeldern weitergetragener Schimmer, und sie zog die Kleider und die nasse Wäsche aus, hängte alles auf eine Leine unter dem Vordach und ging in die Küche, wo es nach dem Pilzgemüse roch, ein wohltuender Duft. Sie machte kein Licht.
    An dem Griff des alten Kühlschranks ziehend, glaubte sie eine Schrecksekunde lang, etwas über die Fensterbank huschen zu sehen; gleich darauf hörte sie ein Scharren unter der Spüle. Die Tür, an der ein paar Merk- oder Einkaufszettel hingen – wie in vielen Küchen Europas auch, wurden sie von kleinen Magneten gehalten, die freilich nicht die Form von Brezeln oder Würsten hatten; hier hafteten Sushi-Attrappen –, die Tür war abgeschlossen, und leise fluchend stieg sie auf einen Hocker, um an die Regalleiste unter der Decke zu kommen. Zwei Kekse befanden sich noch in der Dose.
    Sie stellte sie wieder zurück und trank eine Schale Leitungswasser. Dann wusch sie sich, und nachdem sie die gläserne, auf den Garten hinausgehende Tür im Büro des Roshi zugeschoben hatte – das vielstimmige Unken in den Feldern war nun kaum noch zu hören –, musterte sie erneut ihr Spiegelbild. Bis auf die Innenseiten ihrer Oberschenkel und den Bauch, die kleine Fettfalte über der Narbe, war sie eigentlich ganz zufrieden mit sich. Sie hatte eine passable Haltung, volle, der Schwerkraft immer noch tapfer widerstehende Brüste, eine schmale Taille und Hüften, die vielleicht etwas magerer sein könnten; melodischer aber fand sie’s so. Und ihr Hintern war genau richtig, eigentlich sogar sexy, und sie ging noch einmal in die Küche und aß die beiden Kekse auf. Sie schlang sie hinunter. Dann

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