Shakespeares Hühner
simulierend, klammerten sich ungeniert an den großen Mann und waren entzückt, wenn er sie mit gespieltem Monstergebrüll abschüttelte.
Nach dem Imbiss steckte er sich Brotkugeln in die Ohren und schlief gut eine Stunde lang, und als er aufwachte, war die Sonne gewandert, seine Beine lagen nicht mehr im Schatten. Doch hatte jemand ein Badetuch darüber gebreitet, ein goldbesticktes, und eine Frau, die in einem Liegestuhl saß und sich die Arme eincremte, lächelte ihn an. Eine Flasche Rotwein und ein paar Bücher ragten aus ihrer Sisaltasche.
Etwa in seinem Alter, hatte sie schwarze Haare, kleine, spitze Brüste und breite Hüften, wie er es mochte. Auch ihr Blick, das etwas Unsichere darin, gefiel ihm. Aber während er ihr das zusammengefaltete Tuch reichte, brachte er nicht mehr als »Besten Dank auch!« hervor. Dabei stammelte er ein wenig, und kaum sah sie die Punkte an seiner Daumenwurzel, war ihr Lächeln so, als hätte sie Eiswürfel hinter den Zähnen.
Eine Woche später, nachdem er gut ein Dutzend Tote in die Kühlräume gelegt hatte – auch Kinder dieses Mal, und ein junger, offenbar gerade verunglückter Mann hatte noch nach Rasierwasser gerochen –, setzte er sich wieder auf die Terrasse. Es war gegen drei Uhr am Nachmittag; über ihm, zwischen Wand und Traufe, schliefen Fledermäuse, eine lange Reihe, und er öffnete eine Flasche Pils aus dem Kasten der Sektionsgehilfen und blätterte in einem der Magazine, die stapelweise in ihrem Waschraum lagen.
In der Villa spielte jemand Klavier. Ein blumengeschmücktes Buffet stand auf der Veranda, und Mädchen in Schürzen räumten Dessertschalen von den weiß gedeckten Tischen im Garten. Überall leuchteten Weingläser und Champagnerkelche in der Sonne, auch im Gras, und während Oswald die Hochglanzseiten betrachtete, die Körper ohne jeden Pickel, die gespreizten Schenkel und edlen Gesichter, vor Sperma triefend, wurde im Haus applaudiert.
In der Stille danach klang die zarte Stimme näher, als sie sein konnte, und er hob den Kopf, beschirmte sich die Augen. Die kurze Hose des Jungen hatte eine Bügelfalte und war ähnlich grün wie die samtige Schleife an seiner Hemdbrust. »Was soll ich schon lesen«, sagte Oswald und rollte das Heft zusammen. »Medizinisches Zeug.« Er schob es in die Kitteltasche und trank einen Schluck Bier. »Und was machst du? Warum bist du denn nicht auf dem Fest? Gibt’s keine schönen Mädchen?«
Der Kleine grinste. »Nee, bis jetzt nicht. Das ist nur für Erwachsene, ein Brunch. Mama hatte gestern Premiere, mit guten Kritiken und so, und dann wird immer gefeiert. Wie Frauen eben sind. Der Computer bleibt ausgeschaltet, die Spielkonsole wird weggesperrt, und in die Küche darf ich auch nicht. Ich soll mich mit den Leuten unterhalten, Konversation, verstehst du? Speak you English? Dabei würde ich viel lieber schreiben.«
Nach einem raschen Blick zum Haus schlüpfte er durch eine Lücke im Zaun und setzte sich zu Oswald in den Schatten. Auch die Senkel seiner Lackschuhe waren grün, und er rollte sich die Kniestrümpfe auf die Knöchel und kratzte über die Abdrücke der Säume. Dabei sog er die Luft durch die Zahnritzen ein. »Letzte Woche ist mir nämlich ein Gedicht eingefallen!«, sagte er. »Gleich nachdem wir uns getroffen hatten ... Ich glaub, du bringst mir Glück. Es handelt von einer Katze! Oder vielleicht von einer Maus; das ist noch offen. Adolf legt uns immer eine vor die Tür, oft auch mehrere. Ein echter Killer.«
»Die Katze heißt Adolf?«
Er nickte. »Papa hat sie so getauft, obwohl sie ein Weibchen ist. Sie war schon hier, als wir kamen. Für die angeknabberten Mäuse will sie immer gelobt und gestreichelt werden, voll eklig. Manchmal ist ein Ohr weg oder eine Pfote, aber bei der letzte Woche fehlte der Schwanz. Und da hatte ich plötzlich die ersten Verse. Willst du sie hören?«
»Klar«, sagte Oswald, öffnete die Schiebetür einen Spalt und warf das Heft ins Büro. »Schieß los.«
Vincent ruckelte auf seinem Stuhl herum und zog einen Zettel aus der Tasche. »Es ist aber nicht fertig, klar? Ich brauch noch einen Titel und überhaupt ... Der ganze Schluss fehlt. Doch das ist normal; man kann nicht immer inspiriert sein. Hör zu.«
Oswald stellte seine Bierflasche auf den Boden und verschränkte die Hände im Schoß. Im Haus setzte wieder Klaviermusik ein, melancholische Töne, und der Junge blickte auf das zerknitterte, aus einem Ringbuch gerissene Blatt. »Es ist so eine Art Gespräch, weißt du.
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