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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Ehre, das Grab der Königin Katharina von Valois zu sehen, und ich durfte ihren Oberkörper mit der Hand hochnehmen und ihren Mund küssen. Dabei musste ich daran denken, daß ich zum ersten Mal eine Königin küßte, und das an meinem 39. Geburtstag.»
    Es muss etwas völlig anderes gewesen sein, auf der Bühne zuzuschauen, wenn Heinrich Catherine küsst, oder diese toten Lippen selbst zu sehen – sie gar zu küssen.

Kapitel Sieben
    Irland: Niederlagen der Gegenwart
    Ein gefährliches Bild von Irland
    E in Engländer, ein Ire, ein Schotte und ein Waliser gehen in eine Bar …» – Wir kennen die Witze, die so beginnen, und wissen, worauf sie hinauslaufen. Ob Spiel oder Anspielung, nationale Stereotypen sind seit langem Ausgangsstoff des englischen Humors. Shakespeares Einstieg in das wetteifernde Geplänkel der vier Nationen ist vermutlich die älteste Version jener klassischen Konstellation, in die wohl jeder von uns Briten schon mal geraten ist. Sie steht auch im Zentrum von Heinrich V. , seines auf demagogischste Weise englischen Stücks, in dem sich, am Vorabend der Schlacht, vier Hauptleute – der Engländer Gower, der Waliser Fluellen, der Ire Macmorris und der Schotte Jamy – in die Haare geraten:
«MACMORRIS: Der Tag ist heiß, und das Wetter, und der Krieg, und der König, und die Herzoge; es ischt keine Zeit zum Reden. Reden. Die Stadt wird berannt, und die Trompete ruft uns zur Bresche, und wir reden und tun, bei Chrischtus, gar nichts …
FLUELLEN: Kapitän Macmorris, ich denke, seht Ihr, unter Eurer Genehmhaltung, es sein nicht viele von Eurer Nation –
MACMORRIS: Meiner Nation? Was ischt meine Nation? Ischt’s ein Hundsfott, und ein Bastard, und ein Schelm, und ein Schurke? Was ischt meine Nation? Wer spricht von meiner Nation?

    «Rorie Oge in the Forest», der elfte von zwölf Holzschnitten aus: John Derricke , The Image of Ireland, with a Discovery of Woodkarne, London 1581.
FLUELLEN: Seht Ihr, wenn Ihr die Sache anders nehmt, als sie gemeint war, Kapitän Macmorris, so werde ich unmaßgeblich denken, daß Ihr mir nicht mit der Leutseligkeit begegnet, als Ihr mir vernünftigerweise begegnen solltet, seht Ihr, da ich ein ebenso guter Mann als Ihr bin …
MACMORRIS: Ich weiß nicht, daß Ihr ein so guter Mann seid als ich; so mir Chrischtus helfe, ich will Euch den Kopf abhauen.
GOWER: Ihr Herren beide, [ihr missversteht einander wohl].
JAMY: Ay, das ist ein garstiger Fehler.»
    Diese Szene ist einmalig in Shakespeares ganzem Werk, und nur aus folgendem Grund: Hauptmann Macmorris ist Shakespeares einziger Ire. Wir haben ein schottisches Stück, nämlich Macbeth , ein «irisches» Stück gibt es nicht. Shakespeare gibt uns walisische und schottische Figuren zuhauf; aus Irland jedoch kommt allein Hauptmann Macmorris.
    Selbst wenn sie auf Shakespeares Bühne bewusst keinen Platz haben, Iren kamen, davon, denke ich, können wir ausgehen, seinem Publikum leicht in den Sinn. Wenn die Zuschauer Heinrichs V. Feldzug gegen Frankreich auf der Bühne verfolgten, werden sie ganz sicher an Elisabeths fortgesetzte Versuche gedacht haben, Irland zu erobern. Mag Hauptmann Macmorris der einzige Ire sein, den Shakespeare auf die Bühne treten lässt, allein ist er nicht, denn hinter ihm, nur gerade nicht zu sehen, befinden sich Hunderte seiner Landsleute, und sie brennen auf die Schlacht:
«MACMORRIS: … die Stadt wird berannt, und die Trompete ruft uns zur Bresche, und wir reden … ’s ischt Schande … und da hat sich’s Kehlen abzuschneiden …»
    Die Vorstellung einer Horde unsichtbarer irischer Krieger, die nichts lieber täten, als mit dem Kehle-Durchschneiden zu beginnen, war einem englischen Theaterbesucher schauerlich präsent.
    Will man rekonstruieren, was Shakespeares Publikum über die Iren gedacht hat, beginnt man am besten mit einem Buch aus dem Jahr 1581, mit The Image of Ireland von John Derricke. In Prosa, Versen und Bildern erzählt uns der Autor, wie Sir Henry Sidney, Lord Deputy von Irland in den 1560er,1570er Jahren, die irischen Rebellen unterwarf. Derricke war loyaler Anhänger Sidneys und hat an dessen Feldzügen gegen die Iren möglicherweise sogar als Augenzeuge teilgenommen. Sein Buch ist eine hingebungsvolle und leidenschaftliche Rechtfertigung von Sidneys Aktionen, zugleich ein gehässiger Bericht über das irische Volk, seine wilde Geschichte und barbarischen Sitten. Aller Animosität zum Trotz jedoch, allein die zwölf Holzschnitte – einige davon gehören zu den

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