Shakespeares ruhelose Welt
Leser zu erinnern, wie nahe England am Abgrund von «Zerrüttung, Grausen, Furcht und Meuterei» stand, wie kurz davor, eine weitere «Schädelstätte» zu werden. Des Bischofs Buch fängt das Denken ein, das die herrschende Klasse in den Jahrzehnten, in denen Shakespeare schrieb, umtrieb – misstrauisch waren sie bis zur Paranoia, stets bereit, grausam zurückzuschlagen.
Die im Buch geschilderten Fälle hat George Carleton, der Bischof von Chichester, zusammengetragen; erschienen ist es 1624, wenige Jahre nach Shakespeares Tod. Die Titelseite zeigt eine üppige weibliche Figur, die ein Stück Tuch hält, auf dem geschrieben steht: «Eine dankbare Erinnerung an Gottes Gnade von G. C. …» Des weiteren: «Eine historische Sammlung der großen und gnädigen Rettungen von Kirche und Staat von ENGLAND, seit das Neue Testament hier Früchte trug, seit Beginn der Königin Elisabeth». Der Untertitel sagt alles, und Carleton liefert mit seinem Bestseller in der Tat, was jener verspricht. In achtzehn Kapiteln erschreckt und erregt er die Leser mit Verschwörungen, Intrigen und Mordanschlägen aus fünfzig Jahren.
Das Buch, die Sensationsgeschichte Englands während Shakespeares Lebzeiten, erzählt ausschließlich anhand von Mordplänen gegen die Monarchin. So etwa wird das Lopez-Komplott von 1594 präsentiert als «höchst gefährlicher undtollkühnster Verrat. Das Ziel der Verschwörung war der Tod Ihrer Majestät. … Das Mittel war Gift.»
Titelseite von Carletons A Thankfvll Remembrance of Gods Mercie by G. C. , London 1627. Die Personifikation der wahren Kirche spannt ein Banner aus und zeigt den Buchtitel, ihr zur Seite Elisabeth I. und Jakob I. mit Wappenschilden, zu ihren Füßen Papst und Teufel.
Holzschnitt aus Kapitel 13 von Carletons A Thankfvll Remembrance : Lopez erklärt sich einverstanden, die Königin zu vergiften.
Die Widersacher, die Carleton in seinem Buch vorführt, waren in der Mehrzahl sowohl katholisch als auch Ausländer. Sie sind Agenten der Könige von Frankreich und Spanien, und sie sind, vorzugsweise, Agenten des Papstes: «Aber er war trunken vom römischen Kelch; denn wer, wenn nicht Trunkene, vermöchte solchem Weg zu folgen? Das möge andere lehren sich zu hüten vor solchen, die derart giftige und vergiftende Kelche von Rom herbringen.» Nicht zu bremsen ist Carleton in seinen Drohungen, reiht eine tolle Geschichte über bösartige Katholiken und ihre heimtückischen Taten an die nächste. Wieder und wieder versuchen böse Menschen, unterstützt von noch übleren, nämlich katholischen Ausländern, den Monarchen zu ermorden. Wieder und wieder werden sie von loyalen Engländern und durch Gottes Gnade an ihrer Tat gehindert. Dabei geht es nicht um königliches Gottesgnadentum, sondern um den göttlichen Schutz für die protestantischen Herrscher Englands. Gott habe auf «unserer» – der englischen, protestantischen – Seite gestanden. Letztlich ist die Botschaft des Buchs triumphal: Alle diese Verschwörungen gegen König und Königin von England sind gescheitert. Carletons Geschichten gleichen einem Horrorfilm: Mit Angstlust, vom sicheren Sessel aus, lässt sich die Gefahr verfolgen. Fremde sind verborgen und verkleidet. Ausländer lauern in der Gasse. Die Spannung steigt, die Bedrängnis könnte größer nicht sein.
Nicht eine dieser realen Verschwörungen taucht in Shakespeares Stücken auf, gleichwohl: als Fakt und Furcht lebt die Verschwörung auch in seinem Werk. Bevor er in die Schlacht ziehen kann, muss Heinrich V. mit einer Gruppe von Edelleuten fertig werden, die, wie herauskam, in geheimer Allianz mit dem französischen König standen. Die gegen Caesar konspirierenden Brutus und Cassius sind, in den Augen von Shakespeares Zuschauern, geheime Verschwörer der Sorte, vor denen man sie immer wieder warnte, und sie sind, was nun wirklich erschreckend ist, erfolgreiche Attentäter. In vielerlei Hinsicht ist Julius Caesar ein archetypisches Schauspiel zum Attentat; im Stück beschreibt Mark Anton denn auch den Schmerz, der das ganze Gemeinwesen erfasst, wenn der Regent ermordet wird:
«ANTONIUS: O meine Bürger, welch ein Fall war das!
Da fielet ihr und ich; wir alle fielen,
Und über uns frohlockte blut’ge Tücke.
O ja! nun weint ihr, und ich merk’, ihr fühlt
Den Drang des Mitleids: dies sind milde Tropfen.
Wie? weint ihr, gute Herzen, seht ihr gleich
Nur unsers Cäsars Kleid verletzt? Schaut her:
Hier ist er selbst, geschändet von Verrätern!»
Shakespeares
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