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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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sein muss, so wie es von der Decke jener Kirche in Leith herabhing. Wir erkennen auch, dass man es damals wohl sehr hoch aufgehängt hat: Die Details des Aufbaus und die Takelage sind unproportioniert im Verhältnis zum Rumpf. Das Schiff war von Anfang an dafür gemacht, von unten betrachtet zu werden. Leuchtend bunt bemalt, vergoldet, um den Blick im Kerzenlicht des Kirchenraums auf sich zu ziehen, wird es wie ein magisches Objekt gewirkt haben.
    Nach einem Prozess, dem Jakob VI. beiwohnte, wurde Agnes Sampson schuldig gesprochen, erdrosselt und dann am 28. Januar 1591 auf der Esplanade vor Edinburgh Castle verbrannt. Ihre Hinrichtung kostete 6 Pfund 8 Schilling 10 Pence schottischer Währung. Julian Goodare von der Edinburgh University, der Verfasser einer Studie zum schottischen Hexenwesen, erläutert die näheren Umstände dieser berühmten Hinrichtung:
«Es braucht mehrere Stunden, um einen Körper zu Asche zu verbrennen, und es ist ein äußerst dramatisches Ereignis. Wir wissen, dass solche Hinrichtungen große Menschenmengen anzogen. Dabei waren die Prozesse von North Berwick nicht die ersten Hexenprozesse in Schottland, es war auch nicht die erste Hexenpanik, aber jene waren die ersten, die zum «Medienereignis» wurden. Denn es ging um den König, das allein schon sorgte für Aufmerksamkeit. Es wurde ein Pamphlet verfasst, überschrieben mit Newes from Scotland , veröffentlicht in London, um die Engländer zu beeindrucken: Sie sollten wissen, dass der König Ernst machte mit den Hexen.»
    Ein kurzer Blick in die Newes from Scotland zeigt, welch lange Tradition der Sensationsjournalismus in England hat. Da wurde berichtet von einemArzt, der im Bund stand mit dem Teufel und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Doch der lockend formulierte Titel versprach den Lesern noch mehr: Man werde erfahren, wie gewisse Frauen aus North Berwick «zugaben, daß sie Seine Majestät verzaubern und von Dänemark kommend im Meer ertrinken lassen wollten, nebst solch anderen wunderlichen Dingen, wie man sie noch zu keiner Zeit gehört hat».

    Wie viele Flugschriften der Zeit illustrierten auch die Newes from Scotland (1591) ihre sensationellen Berichte mit Holzschnitten; rechts oben die vier Hexen von Berwick und ihr Kessel.
    Das Pamphlet ist sogar illustriert. Eine Seite zeigt ein Schiff in Seenot, daneben sieht man vier Hexen in einem Kessel rühren. So schrill diese Nachrichten aufgemacht waren, Jakob hatte guten Grund, dafür zu sorgen, dass dieser reißerische Bericht über den Hexenprozess in England publiziert wurde. Julian Goodare erklärt:
«Eines der Dinge, die mit Newes from Scotland verbreitet wurden, war, dass die Hexen den Teufel gefragt hatten, warum er denn Jakob von Schottland verderben wolle. Und der Teufel antwortete: ‹Der schottische König ist mein größter Feind auf Erden› – eine in der Tat ziemlich schmeichelhafte Behauptung. Doch in den 1590er Jahren war so etwas wichtig für Jakob, schließlich wollte er sich als vertrauenswürdiger Nachfolger Königin Elisabeths I. präsentieren und die Engländer beeindrucken.»
    Als diese Jakob 1603 als ihren König begrüßten, wussten sie immerhin eines von ihm: Er war ein Mann, vor dem selbst der Teufel gehörigen Respekt hatte. Und wer Macbeth zum ersten Mal sah – das Drama entstand wahrscheinlich kurz nach 1605 –, der kannte den Inhalt der Newes from Scotland bestimmt, ob aus erster oder zweiter Hand. Wenn die Zuschauer in Macbeth von Hexen hörten, die in einem Sieb übers Meer fahrend nach Aleppo unterwegs waren, die sich mit Katzen zu schaffen machten oder Teile toter Körper sammelten, dann können wir, denke ich, sicher sein, dass sie dergleichen Verhalten zusammenbrachten mit den Hexen aus Schottland:
«ERSTE HEXE: Daum ’nes Lotsen; sinken sah
Ich sein Schiff, dem Land schon nah.»
 
«DRITTE HEXE: Auch des Lästerjuden Lunge,
Türkennas’ und Tartarzunge;
Eibenreis, vom Stamm gerissen
In des Mondes Finsternissen;
Hand des neugebornen Knaben,
Den die Metz’ erwürgt im Graben,
Dich soll nun der Kessel haben.»

    Raphael Holinshed, Chronicles of England, Scotlande and Irelande, 1577: eine wichtige Quelle für Shakespeare. Zu den vielen Holzschnitten gehört auch dieser: Macbeths Begegnung mit «drei Frauen von fremder und wilder Erscheinung».

    Macbeth, 1. Akt, 3. Szene, Princes Theatre, London, 1926: Die Hexen mit Macbeth und Banquo. Mit Macbeth schuf Shakespeare ein Hexenbild, das in der populären Kultur bis heute lebendig

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