Shakespeares ruhelose Welt
«adriatische Hure» genannt wird.
Othello und Der Kaufmann von Venedig wären nie erfolgreich gewesen, hätten keinerlei Imagination wecken können, wenn Shakespeare die Handlung hätte in London spielen lassen. Venedig war damals, wie heute, eine Stadt der Träume, eine Stadt, in der die Grenzen des Machbaren sich unendlich hinausschieben ließen – nichts anderes als die Metropole berauschender Möglichkeiten.
Kapitel Dreizehn
Von London nach Marrakesch
Ein Schatz aus Afrika
E lisabeth I. war eine Monarchin mit vielen Namen – «Good Queen Bess», «Gloriana», «Virgin Queen» gehörten dazu, aber auch Exotischeres: «Die Sultana Isabel, von hoher Stellung und majestätischem Glanz, Treue und Beständigkeit, von einem Rang, den alle ihre Mitgläubigen in Nah und Fern respektieren, deren Stellung unter den christlichen Völkern weithin mächtig und erhaben ist». Die Sultana ist keine andere als Königin Elisabeth, aus großer Entfernung betrachtet, nämlich um 1600 von Afrika aus. Die schmeichelnde Beschreibung ihrer Majestät, ihres Glanzes, ihrer Treue und Beständigkeit stammt von einem ihrer neuen Verbündeten, von Sharif Ahmad al-Mansur, dem reichen König von Marokko – weitaus reicher als Elisabeth selbst – und Herrscher einer Macht, mit der sowohl im Mittelmeer wie auf dem Atlantik zu rechnen war.
Sharif Al-Mansurs Bemerkungen erinnern uns daran, dass die Theaterbesucher zu Shakespeares Zeit gerade dabei waren, Bürger einer Weltmacht zu werden. Sie waren stolz auf Francis Drakes Weltumsegelung und leichtgläubige Zuhörer, wenn ausführlich von jenen Ländern «voller Kannibalen» erzählt wurde, die «einander essen/die Anthropophagi und Menschen deren Köpfe/zwischen ihren Schultern wachsen»; sie waren ebenso begeisterte Leser des neuen Genres der Abenteuergeschichten – so zum Beispiel von Sir WalterRaleighs The Discovery of Guiana von 1596, möglicherweise Shakespeares Quelle für die Geschichten um Othello. Auch im Theater wurde diese Neugier auf eine sich ausdehnende, beunruhigende Welt ausagiert. In Der Kaufmann von Venedig stürmt eine reich gekleidete, exotische Gestalt auf die Bühne und wirbt um die italienische Erbin Porzia:
«MAROKKO: Verschmähet mich um meine Farbe nicht,
Die schattige Livrei der lichten Sonne,
Die mich als nahen Nachbar hat gepflegt.»
Dieser eloquente und goldbraune Mann ist der Prinz von Marokko: der erste von Shakespeares edlen Mohren oder Mauren und, was noch wesentlicher ist, der erste, der auf einer englischen Bühne nicht als Schurke auftritt. Noch überraschender als seine Hautfarbe ist, dass der Mann, den Porzia einen «sanften» Mauren nennt, bestens vertraut ist mit englischen Münzen:
«MAROKKO: In England gibt’s ’ne Münze, die das Bild
Von einem Engel führt, in Gold geprägt.
Doch der ist drauf gedruckt: hier liegt ein Engel
Ganz drin im goldnen Bett.»
So legt Shakespeare tröstlich nahe, dass, selbst wenn die Engländer nur wenig über Marokko wissen, dieser liebenswürdige Prinz doch etwas über England weiß und eine Menge über dessen Geld.
Dieser Prinz ist als Gestalt von Shakespeare frei erfunden – nirgendwo in dem Material, das Shakespeare für den Kaufmann von Venedig heranzog, taucht er auf –, inspiriert aber war er vermutlich von den ab 1590 immer intensiveren Handelsbeziehungen mit Marokko. Im realen Europa des sechzehnten Jahrhunderts hätte die Spaltung zwischen Islam und Christentum eine Heirat mit Porzia unmöglich gemacht, auf Shakespeares Bühne jedoch wird ein maurischer Prinz nicht mit einem fremden oder feindlichen Glauben verbunden, sondern mit Luxusgütern und exotischen Reichtümern: Zucker, edelste Pferde, schwindelerregende Mengen an Gold.
Niemanden unter den Zuschauern von Der Kaufmann von Venedig wird es auch nur im Geringsten erstaunt haben, dass der Prinz von Marokko, aufgefordert, unter den Kästchen zu wählen, um Porzias Hand zu gewinnen, sich für das goldene entscheidet. Für jedermann war Westafrika damals schlichtdas Land, aus dem das Gold kommt: Marokko lieferte den Rohstoff für so gut wie jede in England geprägte Goldmünze. Den Zugang zu diesen riesigen Goldvorräten kontrollierte Sharif al-Mansur. Allein aus Timbuktu nahm er jährlich 600 Kilogramm Gold: Nicht umsonst nannte man ihn al-dhahabi , den Goldenen, und wie berichtet wurde, «schlugen an den Toren seines Palastes 14.000 Hämmer Münzen ohne Unterlass». Natürlich ist das eine poetische Übertreibung, gleichwohl vermeint man,
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