Shakespeares ruhelose Welt
Sharif al-Walid ausgegeben, der bis 1636 regierte: Kurz danach also muss das Schiff gesunken sein.
Über den Schiffbruch aber ist kaum etwas bekannt, nur Weniges wissen wir sicher. Es gibt keine der üblichen Spuren eines untergegangenen Schiffes; weder Ruder noch Balken oder Planken; auch keine Jungfern (Holzscheiben zum Zurren der Takelage) wurden gefunden, und es ist auch keine Nachricht von irgendeinem in diesem Gebiet gesunkenen Schiff überliefert. War es einHandelsschiff auf der Rückfahrt von Nordafrika? Oder ein Piratenschiff? Solche Schiffe kreuzten oft am Eingang des Kanals – englische und marokkanische. Berberpiraten vor allem nahmen Gefangene auf hoher See, auch auf Fischerbooten vor der englischen Küste. Hin und wieder brandschatzten sie auf dem Festland, zerrten die Menschen manchmal buchstäblich aus den Betten, verkauften sie als Sklaven oder erpressten Lösegeld. Schiffe aus Guernsey, Plymouth, Southampton und London, so berichtet Richard Hakluyt 1584, wurden gekapert und ihre Besatzungen versklavt. Über Jahrzehnte ging das so. 1631 etwa wurden 107 Männer, Frauen und Kinder aus Irland verschleppt; ein Fünftel von ihnen verschwand, starb oder konvertierte, bevor die übrigen ausgelöst werden konnten.
Stücke aus dem Salcombe-Schatz: Münze, Barren und Fragmente von Schmuckstücken, Anhängern und Ohrringen; die Stücke lassen den Stil erkennen, in dem Marokkaner bis ins 20. Jahrhundert arbeiteten.
Wenn wir an Piratengeschichten denken, dann kommt uns eher Robert Stevensons Long John Silver in den Sinn, nicht solche finsteren Ereignisse. Doch für Shakespeares Zuschauer waren Piraten eher so etwas wie die mörderischen Entführer unserer Tage. Das Piratenwesen vor der englischen Küstewar eine stets drohende Gefahr, über die viel geschrieben wurde. Die entsetzlichen Machenschaften der Korsaren ließen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert ein neues literarisches Genre entstehen, heute bekannt als Gefangenschaftserzählung: haarsträubende und säbelklirrende Berichte englischer Opfer, die nordafrikanischen Piraten in die Hand gefallen waren. Eine traurige, mit umständlich langem Titel versehene Ballade von 1623 gibt einen fesselnden Eindruck der Gefahren auf See: Die klagenden Schreie von zumindest 500 Christen: Die meisten von ihnen Engländer (Nun Gefangene in Algier in türkischer Hand)/Ihr Flehen zu Gott/Dass ER allen Christlichen Königen und Fürsten die Augen öffnen möge/Zu bemitleiden den elenden Zustand so vieler christlicher Gefangener .
Die dreizehnte von zweiundzwanzig Darstellungen der Folter durch Berber-Piraten, aus: Pierre Dan, Histoire de Barbarie, Paris 1637 .
«Geentert erst, geraubt, gebunden dann
In Ketten, geschleppt nach Argiers [Algier] zum
Stolz ’nes mahumetan’schen Hunds (acht in einer Reih’).
Jeder Achte zum König zu Argier gehen muss
Und der achte Teil der Beute ist sein Preis;
Die, so er behält, gehören jedem, der zahlt
Und bietet für sie, denn nun führt man sie
Zum Markt, und werden verkauft wie Vieh vom Haupt.
Ihre Herr’n haben Freiheit durchs Gesetz,
Zu schlagen, treten, auszuhungern sie,
Ja, sie ziehn zu heißen im Joch wie Ochsen,
Als wär’n sie tot, zu prügeln sie …»
Diese Gefangenschaftsgeschichten erzählten von Angriff und Entern, vom Kerker, von Heldentaten und atemberaubender Flucht. Die Geschichten von erzwungener Konversion und bestialischen Grausamkeiten schürten Fremdenfeindlichkeit und religiöse Feindschaft noch, die im Bewusstsein der Engländer koexistierte mit der Gier nach wertvollen und exotischen Gütern aus Nordafrika.
Piraten hat Shakespeare nie in den Mittelpunkt gerückt – er war schließlich eine Landratte aus Warwickshire, ist offenbar auch nie ins Ausland gereist –, doch bilden sie den Hintergrund für die Seefahrten in seinen Stücken. Piraten überfallen Hamlet auf dem Weg nach England, zwingen ihn nach Dänemark zurückzusegeln, oder sie stürzen, wie in Perikles. Fürst von Tyrus , auf die Bühne und rauben Marina – Zweifel an ihrer berüchtigten Gewalttätigkeit lassen sie erst gar nicht aufkommen:
« Piraten kommen
ERSTER SEERÄUBER: Halt! Schurke!
Leonin entflieht.
ZWEITER SEERÄUBER: Beute! Beute!
DRITTER SEERÄUBER: Halbpart, Kam’raden, halbpart!
Kommt, wir wollen sie schnell an Bord bringen.
[Sie gehn ab mit Marina]
[3. Szene: Leonin kommt zurück]
LEONIN: Vom großen Seedieb Valdes sind die Schelme;
Mit nahmen sie Marina. – Mag sie gehn!
Nie kommt sie wieder. Daß sie tot,
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