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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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eine davon war «Schwarz». Noch später hieß es auch «Muslim», doch der Gebrauch des Wortes in elisabethanischer Zeit ist unpräzise. Auch das ist ein Grund, warum der Ausdruck the moor so häufig verwendet wird: Er hat einen gewissen Klang, aber nicht viel Substanz, und man kann so vieles damit verbinden.»
    Etwas, das sich gewiss damit verbinden ließ, war die verbreitete Fremdenfeindlichkeit, die Elisabeth zwang, die befreiten marokkanischen Galeerensklaven auszuweisen; auch Shakespeare war nicht frei von dieser Art Rassismus. In Othello , und nicht zum ersten Mal, erkundete er ein Londoner Phänomen, indem er es nach Venedig versetzte. Der Schurke Jago und der wütende Vater der Desdemona – Othellos weißer Gemahlin –, ja im Grunde alle, die Othello böse wollen, benutzen rassische Verunglimpfungen gegen den Mauren: «Dicklippe», «Barberhengst», «rußig». Verletzende Worte bis heute, und so waren sie damals schon gemeint. Jago nimmt kein Blatt vor den Mund, etwa, wenn er Desdemonas Vater berichtet, dass dessen Tochter mit Othello durchgebrannt ist:

    «Erinnerung an Titus Andronicus », Henry Peacham zugeschrieben, um 1594. Eher eine Impression als eine reale Bühnenszene; das Blatt aber zeigt mit den Kostümen und der extrem schwarzen Schminke von «Aaron dem Mohren» einige Konventionen damaliger Bühnenkunst.
«JAGO: Ihr seid beraubt, zum Teufel! Nehmt den Mantel!
Eu’r Herz zerbrach, halb Eure Seel’ ist hin.
Jetzt, eben jetzt, bezwingt ein alter schwarzer
Schafbock Eu’r weißes Lämmchen. – Auf! heraus!
Weckt die schlaftrunknen Bürger mit der Glocke,
Sonst macht der Teufel Euch zum Großpapa.»
    Für Jago ist Othello nicht nur schwarz und sexbesessen, sondern ein Teufel, und im Fortgang des Stückes betont Shakespeare Othellos schwarze Haut. Doch an allen Stellen, an denen er mit allerhand Dunklem assoziiert wird, wird Othello auch gepriesen: «tapfer», «edel», «wacker» sei dieser General. Je schwärzer ihn seine Gegner zeichnen, desto nachdrücklicher zwingt Shakespeare seine Zuschauer, Othellos Ehre und Integrität zu würdigen.
    Desdemona verliebt sich in Othello, als er ihr exotische Geschichten aus seiner Jugendzeit in Afrika erzählt. Vor allem mit einer Episode gewinnt er die Sympathie der jungen Frau:
«OTHELLO: So sprach ich denn von manchem harten Fall,
Von schreckender Gefahr zu See und Land;
Wie ich ums Haar dem droh’nden Tod entrann;
Wie mich der stolze Feind gefangen nahm,
Und mich als Sklav’ verkauft …»
    Othello, der große und tapfere Heerführer, war einst selbst ein Sklave, in Gefangenschaft geraten und verkauft. Seine Geschichte erinnert uns an einen elisabethanischen Gemeinplatz, demzufolge das Mittelmeer ein gefährlicher Ort war, wo Krieg und Piraterie herrschten, wo Sklaverei und Schiffbruch drohten, denn es kämpften die Schiffe der Seefahrernationen – Venezianer, Türken, Genuesen, Marokkaner – um die Vorherrschaft auf See. Und wir wissen, dass eines jener Schiffe auf dem Weg von Nordmarokko nach Europa diese Goldmünze von Sharif al-Mansur transportiert haben muss – sie wurde nicht in Marokko gefunden, sondern zwölf Meilen vor der Küste Devons. Sie gehört zu einem Schatz von 450 marokkanischen Goldmünzen, die 1994 in der Salcombe Bay geborgen wurden. Die South-West Archaeological Group, ein Team aus Unterwasserarchäologen und Tauchern, alle Amateure und Halbamateure, entdeckte diesen erstaunlichen Schatz auf dem Grund eines tückischen Seegebiets mit starken Strömungen und tiefen Rinnen. Sie fanden große Mengen Münzen, Goldbarren, Ohrringe und Halsketten – alles aus Marokko, alles aus dem sechzehnten Jahrhundert – zusammen mit anderen Artefakten und Bruchstücken: Bleigewichten, Zinngeschirr, Keramikscherben, verrostetem Eisen. Es ist, von den gemünzten Goldstücken abgesehen, schwer zu erkennen, was die anderen Goldfragmente darstellen: In der großen Masse des 400 Jahre alten marokkanischen Schmucks ist kein Stück vollständig. Mit Sicherheit sind es keine Juwelierarbeiten für den Verkauf, vielmehr Bullions, Bruchstücke aus Gold, die eingeschmolzen und wiederverwendet werden sollten. Die Goldmünzen dagegen geben wichtige Informationen: Nach ihren Inschriften wurden sie geschlagen unter verschiedenen Mitgliedern der Sa’did-Dynastie (al-Mansur ist deren bedeutendstes Mitglied), die Marokko von der Mitte des sechzehnten bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts regiert haben. Die jüngste der datierbaren Münzen wurde unter

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