Shakespeares ruhelose Welt
schnell und weithin, und mit der Wahrheit nahmen sie es nicht unbedingt genau. 1604 hieß es über eine Alice Bennet aus Oxfordshire und ihr loses Mundwerk, dass sie «von Stadt zu Stadt zog, um Seife und Kerzen zu verkaufen, um ihres Lebensunterhaltes willen, und dabei die Gewohnheit hatte, Geschichten zwischen Nachbarn hin und her zu tragen». Indem sie über Land zogen, waren Hausierer eine unerschöpfliche Quelle von Nachrichten, von Gerüchten und Klatsch – gelegentlich auch von Hetze und Aufruhr.
Wenig überraschend, dass Obrigkeiten dieser vagabundierend allgegenwärtigen Unterschicht kaum habhaft wurden, sie noch weniger kontrollieren konnten. Wie bei Shakespeares verkleideten Bühnenfiguren ließ sich auch bei ihnen nur schwer sagen, wie ehrlich und aufrichtig sie waren, was sie wohl gerade im Schilde führten. Ihre Waren konnten harmlos sein wie Leinen und Bänder, konnten aber auch zur Tarnung zwielichtiger Aktivitäten dienen, vom Diebstahl bis zur Spionage. In den 1590er Jahren wurden neue Gesetze erlassen, um der Artisten, Kesselflicker und Hausierer Herr zu werden, die nun als unerwünschte Landstreicher galten. Hausierer konnten zweifelhafte Zeitgenossen sein und ihre Koffer nicht immer das enthalten, wonach es aussah. Genau das ist hier der Fall – denn Leinen, Seide und Damast aus diesem speziellen Koffer waren keine Materialien, die nur darauf warteten, in schicke Kleider junger elisabethanischer Damen verwandelt zu werden. Sie waren bereits anderweitig verarbeitet worden: zu den verbotenen Gewändern eines katholischen Priesters im Untergrund.
Der Hausiererkoffer wird heute in der Sammlung von Stonyhurst verwahrt, der Jesuitenschule in Lancashire, die 1593 ursprünglich in Frankreich gegründet worden war, um englische Jungen im Ausland zu erziehen. Jan Graffius, Kurator in Stonyhurst, erläutert den Inhalt:
«Die Stoffstücke sind Stolen, wie sie sich Priester umlegten. Darunter liegen lange bestickte Zierbänder: der Gürtel, den sich ein Priester um die Taille band. Weil Tuche wie Damast und Seide außerordentlich teuer waren, gehen wir davon aus, dass sie aus Sonntagsgewändern stammten, die fromme katholische Frauen in Priestergewänder umgearbeitet hatten; es waren vor allem diese Frauen, die den katholischen Glauben in England am Leben hielten. Sie hätten solche Gewänder oder auch nur die nötigen Stoffe nicht offen kaufen können, zuhause jedoch konnten sie nähen, ohne Verdacht zu erregen. Die Perlen in diesem Koffer sind eigentlich Perlen eines Rosenkranzes. Sogar einen Altarstein gibt es, in den Reliquien gesetzt waren. Diesen brauchte der Priester, wenn er eine Messe lesen wollte, denn die Wandlung von Brot und Wein hat auf einem Altarstein stattzufinden. Für die bedeutsamste Zeremonie der Messe gibt es des Weiteren ein Gefäß aus Zinn, den Kelch. Allerdings hat er die Form eines gewöhnlichen Trinkbechers, wie er zu dieser Zeit in Haushalten und Kneipen verbreitet war; ungewöhnlich allerdings ist etwas, das wie ein kleiner Untersetzer aussieht, ebenfalls aus Zinn – in Wahrheit eine Hostienschale, die auf das Trinkgefäß passt. Mit ihr wurde der Wein während der Konsekration abgedeckt, damit sein Mysterium bewahrt blieb.»
Ethan Hawke als Autolycus, Das Wintermärchen , Old Vic 2009. Autolycus mit seinem Koffer voller Tand, Seide, Garnen, Balladen ist Shakespeares Typus des schlitzohrigen Hausierers, der an einem Ort Dinge klaut, um sie im nächsten zu verkaufen.
So enthielt der Koffer alles, was ein katholischer Priester brauchte, um die Messe zu lesen. Der Hausiererkoffer ist eine geheime, transportable Kirche. Gefunden wurde er Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, eingemauert in Salmesbury Hall in Lancashire, einem Landhaus etwa sieben Meilen von Stonyhurst entfernt. Salmesbury war das Anwesen der Familie Southworth, von prominenten englischen Rekusanten – Menschen, die sich weigerten, ihrem katholischen Glauben abzuschwören. Drei Männer aus einer Generation dieser Familie wurden zu katholischen Priestern geweiht. Die Mauernische, in der der Koffer gefunden wurde, könnte Nicholas Owen geschaffen haben, ein Zimmermann und jesuitischer Laienbruder, der sich auf die Einrichtung solcher priest-holes spezialisiert hatte, jener Geheimfächer, in denen katholische Gerätschafen versteckt wurden. Er starb 1606, nach dem Gunpowder Plot (siehe Kapitel Elf und Neunzehn), unter der Folter. Pater John Gerard, ein führender Jesuitenpriester dieser Zeit, hat Owens Tun
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