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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Kerl.
«ROSALINDE: … Wär’s nicht besser,
Weil ich von mehr doch als gemeinem Wuchs,
Daß ich mich trüge völlig wie ein Mann?
Den schmucken kurzen Säbel an der Hüfte,
Den Jagdspieß in der Hand, und – läg’ im Herzen
Auch noch so viele Weiberfurcht versteckt –
Wir sähen kriegerisch und prahlend drein,
Wie manche andre Männermemmen auch,
Die mit dem Ansehn es zu zwingen wissen.»
    Um solcherart die Identität zu wechseln, brauchte es nicht viel mehr als ein neues Kostüm. Wollte ein Junge die «quäkende» Kleopatra mimen, verlangte das nur sein schauspielerisches Geschick und die äußeren Zeichen der Weiblichkeit: Kleider und Umhang, Hauben und Schuhe, besticktes Leinen und kräftig leuchtende Seiden. Es war ein simpler Trick und leicht über die Bühne zu bringen, solange das Publikum bereit war mitzuspielen.
    Das Objekt dieses Kapitels hat hauptsächlich mit Verkleidung und List zu tun. Es verspricht einen glücklichen Ausgang und plötzliche Enthüllungen, doch auch die dunkleren Noten von Gefahr und tragischem Ausgang spielen hinein. Auf den ersten Blick haben wir etwas Verlässliches und Eindeutiges vor uns: einen Koffer mit Kleidungsstücken aus elisabethanischer Zeit. Von außen wirkt er ziemlich robust, hat in etwa die Größe jener Taschen, in die man heute Sportsachen steckt, ist aber ziemlich schwer hochzuheben. Denn er ist aus Holz gefertigt, vermutlich aus Fichte, mit Tierhaut bezogen, höchstwahrscheinlich vom Pony, um das Wasser abzuweisen. Sein Inneres ist vollgestopft mit Stücken verschiedener Gewebe. So gibt es einfaches weißes, aber auch besticktes Leinen, Seiden und Damaste – in Braun, Rot, Gold, Grün und Weiß, einige von schwerer Qualität. Und obenauf liegt, in reizendem Rosa und mit Seide gesäumt, eine Haube. Das sind, wie man sich leicht vorstellen kann, alles Dinge, wie sie jede elisabethanische Hausfrau zu kaufenwünschen würde. Außen am Koffer sind lederne Schlaufen angebracht; er wurde auf einem Pferd herumtransportiert. Es kann sich eigentlich nur um einen Hausiererkoffer handeln.
    Hausierer waren willkommen, wenn sie in den Städten und Dörfern des shakespeareschen Englands auftauchten. Sie belieferten vor allem Frauen, versorgten sie mit Knöpfen und Garn, mit Schleifen und Brokat. In einer Welt, in der praktisch alle Kleider im Haus geschneidert wurden, konnte ein kleines Stück Damast oder ein Band zu einem Hauch großstädtischem Schick beitragen. Vieles von dem, was wir heute über elisabethanische Hausierer wissen, hat Margaret Spufford zusammengetragen:
«Der Hausierer ist eine wirklich schwer fassbare Gestalt, nicht nur weil er umherzieht, sondern auch weil er oder sie – es gab auch Frauen unter ihnen – am Rand der Gesellschaft lebte, in der Welt der Vaganten. Sie waren vor allem Händler, die wandernden Beine des Marktes. Und sie kamen weit herum, zu Fuß oder zu Pferd. Bevor es so etwas wie Dorfläden gab, füllten diese Menschen eine Lücke. Zudem waren Hausierer auch Unterhaltungskünstler: Häufig verdienten sie sich ein Nachtquartier, indem sie sangen, Geschichten erzählten oder neueste Nachrichten brachten.»
    Wie Autolycus in Das Wintermärchen , verfügten viele Hausierer über einen großen Vorrat an werbenden Sprüchen und lustigen Liedchen:
«AUTOLYCUS: Kauft Band und Spitzen,
Schnür’ an die Mützen!
Mein Hühnchen, meine Kleine da:
Auch Zwirn und Seide
Und Kopfgeschmeide,
Die neu’ste War’, ganz feine, ja.
Wer nur dem Krämer
Geld gibt, da, nehm’ er,
Der ganze Pack ist seine, ha!»
    Das mochte förderlich sein für den Verkauf ihrer Waren, mit ihrer notorischen Beredsamkeit und ihrem unsteten Leben galten Hausierer dennoch als verdächtige Gesellen. Auf den Straßen war allerhand Volk unterwegs: die respektablen Hausierer – Reisende oder Krämer, die mit ihren Bündeln zuPferd umherzogen, dabei einer festen Route folgten, eine Karte mit markierten Übernachtungsstationen im Kopf – und dann auch solche, die ins Ungreifbare drifteten, in kriminelle Randbezirke, wenig mehr als Landstreicher und kleine Diebe. Autolycus ist so ein typischer Bauernfänger und Gauner, er gehört in die unteren Ränge der Reisenden und Lumpensammler. Wenn er sich brüstet, ein «Aufschnapper von unbedeutenden Gelegenheiten» zu sein, dann meint er, dass er Laken von der Leine mitgehen ließ, um sie im nächsten Ort zu verkaufen.
    Hausierer beider Klassen waren für Elisabethaner so etwas wie heutige Twitter-Feeds; sie verbreiteten Nachrichten

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