Shakespeares ruhelose Welt
frühen Bilder mit der Flagge des Union Jack, die zunächst klein war und nur auf Schiffen gesetzt wurde.
«Shakespeares offenkundigste Beschäftigung mit der britischen Frage ist das Stück Cymbeline mit dem Untertitel «König von Britannien». Es spielt zur Zeit des Römischen Reichs, nachdem Caesar in Britannien gelandet ist und britische Stämme Rom tributpflichtig waren. Es ist ein Stück über britische Identität, darüber, was es heißt, britisch zu sein und gegen ein mächtiges europäisches Imperium zu kämpfen. In gewissem Maß steht das antike Rom für die modernen römisch-katholischen, von Spanien beherrschten Länder. König Jakob hat sich sehr darum bemüht, Frieden zu stiften in Europa, die katholischen und die protestantischen Nationen zu versöhnen. In Cymbeline nun kommt es am Ende zu etwas, was sich als Versöhnung zwischen dem Römischen Imperium und dem neuen Britischen Königreich verstehen lässt. Viele Worte werden bemüht, um die Idee eines britischen Königs zu beschwören, der Frieden bringt, will sagen: eines Königs von Britannien, der fähig ist, mit den Zerwürfnissen ein Ende zu machen, die Europa ruiniert haben; und das ist genau die Rolle, in der auch König Jakob sich sah.»
Cymbeline endet mit einem siegreichen Britannien und einem geschlagenen Rom – eine rein shakespearesche Erfindung – und ironischerweise genau damit, dass Cymbeline das Hissen der britischen Flagge befiehlt:
«CYMBELINE: Ein römisch und ein britisch Banner wehe
Freundlich vereint: so gehn wir durch Luds Stadt;
Und in dem Tempel Jupiters beschwören
Den Frieden wir, besiegeln ihn mit Festen.
Brecht auf! – Nie hatt’ ein Krieg, eh’ noch die Hände
Vom Blut sich wuschen, solch ein schönes Ende.»
Alle Zuschauer werden gewusst haben, dass die Frage eines «britischen Banners» noch strittig war und ungelöst. 1610, als Shakespeare Cymbeline schrieb, hatte das Parlament König Jakobs Unionsprojekt gekippt. Es sollte weitere hundert Jahre dauern, bis ein formeller Act of Union Schottland und England zum Staat Großbritannien vereinte.
Jakob entschied sich schließlich, keinen der sechs Entwürfe zu verwenden, die wie hier gesehen haben. Er wählte eine sehr viel einfachere Lösung, die Englands St.-Georg-Kreuz quasi über das St.-Andreas-Kreuz Schottlands kopierte. Natürlich protestierten die Schotten umgehend, undbald hissten schottische Schiffe eine inoffizielle schottische Version mit dem Andreas-Kreuz. Bekanntlich wurde die Streitfrage um die Unionsflagge zu guter Letzt gelöst, aber das brauchte sehr lange Zeit. Und der Streit, der dahinter stand – um die Fragen, die mit diesen sechs einfachen Kombinationen der beiden Kreuze vor 400 Jahren zum ersten Mal angepackt wurden – ist nie völlig verstummt. In der Regel sieht man heute vor der St. Giles’ Cathedral im Herzen Edinburghs zwei oder drei blau-weiße Kreuze flattern, das alte schottische Andreas-Kreuz – und nicht einen Union Jack.
Kapitel Sechzehn
Zeit des Wandels, Wandel der Zeit
Eine erstaunliche Uhr mit Glockenspiel
W ir nehmen die Zeit für gegeben, akzeptieren vielleicht auch nur ihre Tyrannei, wenn wir von Ort zu Ort eilen oder uns sputen, damit wir rechtzeitig ins Theater kommen. Woher aber wussten Shakespeares Zuschauer, wann die Vorstellungen begannen, wie empfanden sie Zeit? Sie ist ein bedeutsames Element in vielen seiner Stücke, und wie so vieles im Leben von Shakespeares Zuschauern war durch neue Ideen und Erfindungen auch «Zeit» etwas anderes geworden. Richard II., von seinem Cousin im Kerker festgesetzt, wo er nun den Tod erwartet, sieht sich selbst als den, der die «Zeit macht», und er tut dies auf höchst moderne Weise:
«RICHARD: Die Zeit verdarb ich, nun verderbt sie mich,
Denn ihre Uhr hat sie aus mir gemacht;
Gedanken sind Minuten, und sie picken
Mit Seufzern ihre Zahlen an das Zifferblatt
Der Augen, wo mein Finger wie ein Zeiger
Stets hinweist, sie von Tränen reinigend.»
Uhrzeiger oder das Ticken einer Zimmeruhr, Zeichen der verstreichenden Minuten, waren etwas Neues im elisabethanischen England, das Ticken ein Geräusch, das wohl noch Shakespeares Eltern nie gehört haben. Minutenwaren für sie bloße Gedankengebilde, der Ton der Zeit war allein das Schlagen einer öffentlichen Uhr.
«RICHARD: Der Ton nun, der die Stunde melden soll,
Ist lautes Stöhnen, schlagend auf die Glocke,
Mein Herz …»
Wir kennen Könige, die mit der Sonne, mit Löwen, manchmal gar mit Göttern verglichen wurden. Hier
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