Shakespeares ruhelose Welt
aber, beunruhigend und schmerzlich, sieht sich ein König als Zeitmesser. Und das ist nicht die einzige Stelle bei Shakespeare, an der eine Figur einer Uhr gleichgesetzt wird. Ein solcher Vergleich ist ein literarisches Mittel, das auch in Komödien seinen Dienst tut:
«BIRON: Wie … ich such’ ein Weib? –
Ein Weib, das einer deutschen Schlaguhr gleicht,
Stets dran zu bessern, ewig aus den Fugen,
Die niemals recht geht, wie sie auch sich stellt,
Als wenn man stets sie stellt, damit sie recht geht?»
Für Biron in Liebes Leid und Lust sind Frauen wie eine Uhr: Sie brauchen viel Pflege und sind doch unzuverlässig. Um ein Gespür dafür zu bekommen, wie neu diese Schmährede geklungen haben muss, sollten wir eine wirkliche Uhr betrachten, eine, die 1598 hergestellt wurde, kurz nachdem Shakespeare seine Komödie schrieb.
Unsere Uhr ist nicht rein deutsch, aber auch kein englisches Fabrikat. Ihr Schöpfer war Nicholas Vallin, flämischer Protestant und Uhrmacher, der in den 1580er Jahren nach England kam, um der Protestantenverfolgung zu entgehen, die mit der spanischen Unterdrückung der Niederlande einsetzte. Er und sein Vater nahmen Wohnung im Londoner Viertel Blackfriars, wo er, gegen Ende seines Berufslebens, diese Uhr anfertigte. Der Bau eines Zeitmessers wie dieser war eine eindrucksvolle Leistung. Das Gehäuse ist (ohne Gewichte und Züge) rund 60 Zentimeter hoch und sieht aus wie ein kleiner viereckiger klassischer Tempel. Das Hauptgeschoss hat, eine in jeder Ecke, vier dorische Säulen, die die Uhr rahmen. Darüber vier kleinere Säulen, die vergoldete Dreieckgiebel tragen und einen Miniaturglockenstuhl umschließen; und über all dem hockt, wie die Kuppel des Lesesaals über dem British Museum, eine gigantische Glocke. Das Ganze ist ein (allerdings schwer) transportabler klassischer Glockenturm, hergestellt zum Gebrauch imHaus. Stolz hat Nicholas Vallin seinen Namen und die Jahreszahl 1598 in die Front graviert.
Das Uhrwerk hinter dem Zifferblatt bleibt von der Seite her sichtbar, ein Wunderwerk mechanischer Kunst, und über dem Werk, unter den Giebeln, sehen wir dreizehn kleine Glocken. Ganz eindeutig wollte Vallin, dass die Menschen seine Uhr nicht einfach nur benutzten, auch den Mechanismus sollten sie bewundern. In Das Wintermärchen sagt die Königin zu Leontes, sie liebe ihn «um kein Maß der Uhr» weniger, nämlich genau so, wie jede Frau ihren Mann liebt, womit sie eine Zuneigung reklamiert, die verlässlich ist wie ein Uhrwerk, wie dessen minutiös genaue, unfehlbar regelmäßig sich drehende Räder.
Gleichwohl hatte Biron nicht Unrecht mit seiner Bemerkung, Uhren bedürften großer Aufmerksamkeit – ja verlangten sie. An einer Halterung hoch an der Wand befestigt, nahm unsere Uhr im Haus ihres reichen Besitzers eine prominente Stellung ein, wahrscheinlich in einem Empfangsraum oder in der Eingangshalle. Eine Besonderheit von Vallins Uhr wird die Besucher besonders beeindruckt haben: Sie hatte zwei Zeiger, einen für Stunden, den anderen für Minuten. Vor 1600 hatten die meisten Uhren nur einen Zeiger, und die Teile einer Stunde wurden geschätzt; was uns als gewöhnliche Uhr erscheint, war 1598 (wie die von Richard II. imaginierte Uhr) auf dem technisch neuesten Stand. Es dauerte weitere fünfzig Jahre, bis der zweite Zeiger Standard war.
Diese Uhr enthält auch ein Glockenspiel – für jede Viertelstunde. Diese, und nicht die Minute, war die Zeiteinheit, die das Denken der Menschen bestimmte. Hierzu William Harrison mit seiner fröhlich plaudernden Description of England von 1577:
«An den meisten Orten gehen sie nicht weiter herunter als bis zur halben oder Viertelstunde, von da steigen sie auf zur Stunde, nämlich zum vierundzwanzigsten Teil dessen, was wir einen gewöhnlichen und natürlichen Tag nennen.»
Niemand, oder so gut wie niemand, dachte damals in Sekunden, eine Zeiteinheit, die bei Shakespeare an keiner Stelle auftaucht. Ende des sechzehnten Jahrhunderts hätten sich nur Astronomen und Wissenschaftler wie JohnDee oder Tycho Brahe darum bemüht, Zeiteinheiten zu bestimmen, die der Sekunde entsprachen. Sekunden waren damals etwas so kleines wie Nanosekunden für uns – wir wissen, dass es sie gibt, aber wir brauchen sie nicht, wüssten auch gar nicht, wie sie einzusetzen wären in unserem Alltagsleben.
Jan van der Straet, Horologia Ferrea , eine Uhrmacherwerkstatt, Antwerpen 1580–1605. Im Vordergrund schaut ein Edelmann dem Uhrmacher bei der Arbeit zu, an den Wänden
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