Shakespeares ruhelose Welt
dem großen Projekt einer neuen englischen Bibelübersetzung, die in beiden Königreichen benutzt werden sollte (und als «King JamesBible» bis heute in Gebrauch ist). Und er machte sich an den Entwurf einer neuen britischen Flagge.
In der National Library of Scotland befindet sich heute ein Set von Flaggenentwürfen, die um 1604 entstanden sind – die ersten Skizzen für Jakobs neue Flagge. Gezeichnet wurden sie auf ein Stück Papier, etwa so groß wie ein Platzdeckchen, sechs unterschiedliche Flaggen sind darauf zu sehen. Sie ähneln ein wenig den Bildern in einem Kindermalbuch, die Umrisslinien mit Tinte gezeichnet und dann leuchtend bunt koloriert. Die sechs Varianten in Rot, Weiß und Blau zeigen, wie sich das schottische St.-Andreas-Kreuz und das englische St.-Georg-Kreuz kombinieren ließen, kommentiert in einer fast unleserlichen Schrift des siebzehnten Jahrhunderts – ein erstaunlich direkter Versuch visueller Propaganda. Jeder Entwurf versuchte einzufangen, was Jakob optimistisch, wenn nicht geradezu naiv, «diese glückliche Hochzeit» nannte. Hier geht es, signalisieren diese Flaggen, nicht mehr um zwei Nationen, sondern um eine; nicht länger um England und Schottland, sondern um «Großbritannien».
Um Jakobs Vorhaben zu befördern, gab es nicht nur das parlamentarische und persönliche Programm, sondern von 1603 bis 1605 auch eine größere Kampagne mit Druckschriften und öffentlichen Veranstaltungen. 1605 präsentierte der Lord Mayor Antony Mundays Triumphes of Re-united Britannia , ein Straßentheater, das bei Umzügen aufgeführt wurde. Gezeigt wurde, wie die legendären Könige Locrine von England, Camber von Wales und Albanact von Schottland ihre Kronen der Kaiserin Britannia übertragen. William Herberts Lamentation of Britaine , veröffentlicht im Jahr darauf, drängt die Engländer, Briten zu werden. Es beginnt:
«O, wo ist Britannia? Britannia, wo ist sie?
Wie? Modert im Grab des Vergessens?
Aus lebendigem Denken der Menschen verbannt?
O nicht doch, lasst England diesen altbekannten
Titel seiner Ahnin begehren wie ein Kind.
Nachbarschwestern dieser Insel, ich sehe es,
Werden groß glänzen in so guter neuer Zeit.»
Die Wiederbelebung Britannias war keine neue Idee; sie wurde angeschoben durch eine Phalanx historischer Schriften und früherer politischer Manöver, hatte auch mit Jakobs Ahnen zu tun. Er selbst war, natürlich, Schotte, aberdurch die Tudor-Linie auch englisch und walisisch – insofern denn auch verbürgt und vorherbestimmt britisch. Er konnte sogar, über einige Ahnenlinien, behaupten, Nachfahre des Cadwallader zu sein, des letzten britischen Königs (eine wenig gesicherte Behauptung, die sich gleichwohl propagandistisch nutzen ließ). Und auf seinen Münzen stellte er die Verbindung her zwischen sich und Heinrich VII., seinem direkten Vorfahren: HENRICVS ROSAS REGNA IACOBVS stand darauf. Jakob einte die Throne von Schottland und England, wie sein Ahne Heinrich die Häuser Lancaster und York geeint hatte.
Goldene Double Crown von Jakob I., geprägt 1604/05. Der König ließ eine völlig neue Serie von Münzen ausgeben, die den Namen Großbritanniens (MAG BRIT) tragen. Auch die Inschriften anderer Münzen werben für die Union; hier mit: «Heinrich vereinte die Rosen, Jakob die Königreiche».
Schaut man nochmals auf die Entwürfe, sieht man, wie die verfahrene Einigungspolitik zumindest graphisch umgesetzt wurde. Alle Entwürfe laborieren an einem Problem, dem Jakob mit seinem Projekt gegenüberstand: Wie vereint man zwei Königreiche und lässt doch jedem den gleichen Status? Zugespitzt: Welches Kreuz steht oben, St. Georgs oder St. Andreas’? Und welche Rolle spielen Größenverhältnisse?
Hätten wir nicht alle den Union Jack im Kopf und wären nicht mit ihm groß geworden, dann fiele es uns erstaunlich schwer, hier eine Lösung zufinden. Die sechs Entwürfe von 1604 gehen das Problem auf verschiedene Weise an. Zwei setzen das schottische unmissverständlich über das englische Kreuz, machen es dafür aber deutlich kleiner. In zwei anderen nimmt das englische Kreuz den größten Raum ein, doch das kleinere schottische Kreuz bekommt die «pole position» in der oberen linken Ecke. Diese vier Vorschläge also bieten den gleichen Kompromiss: Das englische Kreuz ist größer, das schottische aber hat die Ehrenposition.
Die beiden letzten Entwürfe sind da pfiffiger: Das eine zeigt vier kleine schottische Kreuze, Weiß auf Blau, die die vier Ecken rund um das große
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