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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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rote englische Kreuz ausfüllen; der letzte ist dann der vielleicht simpelste von allen. Er setzt beide Kreuze, gleichgroß, einfach nebeneinander, das englische links, das schottische rechts. Das mag als einleuchtendste Lösung erscheinen, ist aber einigermaßen hässlich. Insofern war es vielleicht unausweichlich, dass der Earl of Nottingham, als Earl Marshal verantwortlich für heraldische Angelegenheiten, dem König ausgerechnet diesen Entwurf empfahl. In einer Notiz, die Nottingham direkt auf die Zeichnung schrieb, erklärte er, warum ihm dieser als die glücklichste Lösung schien, als Heirat zweier aufrichtiger Geister, gegen die niemand etwas einwenden könne: «Nach meiner unmaßgeblichen Meinung wird dies die angemessenste sein, das ist wie Mann und Frau, ohne dass sie einander schaden.» In heraldischer Hinsicht aber gab es doch ein Problem mit diesem Entwurf, denn in diesem Flaggenpaar des siebzehnten Jahrhunderts ist England zu sehr der Mann, auf der privilegierten Innenseite der Flagge. Schottland dagegen wird, als Frau, nach außen verbannt.
    Diese Ehemetapher lag in der Luft. Jakob selbst verwendete sie, und das nicht ohne Vergnügen, 1604 in einer Ansprache an das englische Parlament:
«Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Ich bin der Ehemann, und die ganze Insel ist mein gesetzlich Weib. Ich bin der Kopf, die ganze Insel meine Herde … Ich hoffe darum, dass kein Mann so unvernünftig sein wird zu denken, dass ich, der ich christlicher König nach dem Evangelium bin, ein Poligamist sein könnte, ein Ehemann mit zwei Frauen.»
    Doch die beiden Frauen – Schottland und England – waren eben nicht einverstanden, und darum ist die Flaggenfrage so aufschlussreich. Die Schotten wollten unbedingte Parität, die Engländer bestanden auf Anerkennung ihrerälteren Geschichte, ihrer größeren Ressourcen und ihrer (wie sie es sahen) natürlichen Überlegenheit. Keine Seite war bereit nachzugeben.
    Diese ersten Jahre von Jakobs Regentschaft waren der Hintergrund, vor dem Shakespeare Macbeth schrieb, das Stück, in dem England und Schottland getrennt sind, aber keine Feinde. Das Thema Britannia umgeht Shakespeare, trotz der intensiven königlichen Propaganda für eine vollkommene Union. Mit König Lear , etwa zur gleichen Zeit geschrieben, greift er auf ein wenig bekanntes anonymes Stück aus dem Jahr 1605 zurück, in dem ein mythischer König von Britannien sein geeintes Reich aufteilt – mit verheerenden Folgen. In dieser Quelle wird Britannia über zwanzig Mal erwähnt, in Shakespeares Version dagegen fällt auf, dass Lears Reich keinen Namen hat; nicht ein Mal taucht das Wort Britannien auf. Shakespeare muss, wie alle anderen, Jakobs Ansichten gekannt haben. Dazu Jonathan Bate:
«Shakespeare lässt sich nie in die Karten schauen. Das ist ein Grund dafür, dass seine Stücke offen bleiben für immer neue Interpretationen und Aufführungen in neuen kulturellen Kontexten: Er stellt Fragen, große Fragen zur Politik, zum Staat, zur Beziehung zwischen Einzelnem und Staat, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Aber seine Stücke geben keine Antworten, sie sind niemals Propaganda. Schaut man sich andere dramatische Arbeiten dieser Zeit an, zum Beispiel die höfischen Maskenspiele, die von Shakespeares Freund Ben Jonson eigens für König Jakob geschrieben wurden, dann sind diese offen propagandistisch, sie feiern die Triumphe Britannias. Shakespeare macht das nicht – er ist ein zu nachdenklicher Autor –, doch zweifellos streckt auch er sich nach der Decke und greift die Anliegen des neuen Königs auf. Ich denke, man darf, wenn es um König Jakob geht, dessen Lust am Debattieren nicht vergessen. … Er hat sich selbst als intellektuellen König betrachtet. Wenn Shakespeare also Fragen stellt, politisch, philosophisch, aber keine plakativen Antworten gibt, dann wird das, denke ich, Jakob durchaus gefallen haben.»
    Shakespeares frühe Historiendramen, die noch unter Elisabeth entstanden sind, hatten eine ausgesprochen Tudor-freundliche Linie, sie zeigten die Ansichten der Königin über das, was England ist, und der Hof dankte es ihm. Tatsächlich hat er auch ein «britisches» Stück auf die Bühne gebracht, für Jakob, den neuen Patron des Theaters: Shakespeare hat seine Truppe, die Chamberlain’s Men , ganz kurz nach Jakobs Ankunft in London in The King’s Men umbenannt. Dazu Jonathan Bate:

    John Gipkyn, The Restoration of Old St. Paul’s , 1616, Ausschnitt – eines der seltenen

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