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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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sieht man mehrere große Uhren wie die Vallins.
    Die kleineren Glocken in Vallins Uhr ließen jede Viertelstunde eine andere Melodie hören, die große Glocke über allem verkündete der gesamten Hausgemeinschaft die Stunde – ein häusliches Echo der städtischen Zeit: Diese Uhr ist tatsächlich die «Indoor»-Version der großen Uhren von Kirchtürmen oder öffentlichen Gebäuden, die das Leben in ganz England regelten. Die mittelalterliche Tradition hat, wie die römische, den Tag in ungleiche Stunden geteilt, nämlich die Tageslichtperioden wie die Nacht in jeweils zwölf gleiche Segmente – die sich je nach Dauer des Sonnenscheins änderten. Die Vorstellung offiziell abgestimmter Zeitmessung durch Uhren – die neuzeitliche Vorstellung der «Zeitansage» – war in Shakespeares Tagen Routine, gleichwohl noch nicht sehr alt. Um 1400 gab es in ganz England nur24 Uhren, von denen wir noch wissen. In Shakespeares London dann waren es bereits Dutzende, und ihre Schläge und Glocken hielten genauer Schritt mit der Zeit als je zuvor. Taschenuhren etwa – die persönliche mobile Zeitmessung – waren eine noch extravagantere Apparatur. Sie wurden im sechzehnten Jahrhundert erfunden, gingen aber nur auf eine halbe Stunde genau. Sie wurden an einem Band oder einer Kette um den Hals getragen und waren das Spielzeug reicher Männer, ein Requisit in Malvolios Tagtraum über die müßige, sorglose Überlegenheit, mit der Sir Toby handeln will, sobald er Lady Olivia geheiratet hat:

    David Kindt (1580–1652) war Meister der Hamburger Malergilde. Auf diesem Selbstportrait zeigt er sich mit einer Taschenuhr, einem neuen und kostspieligen Objekt. In Was ihr wollt träumt Malvolio davon, als Gentleman auch reicher Uhrenbesitzer zu sein.
«MALVOLIO: Sieben von meinen Leuten springen mit untertäniger Eilfertigkeit nach ihm hinaus: ich runzle die Stirn indessen, ziehe vielleicht meine Uhr auf, oder spiele mit einem kostbaren Ringe. Tobias kommt herein, macht mir da seinen Bückling …»
    Uhren und Taschenuhren waren ausgesprochen städtische Objekte: «Es gibt keine [Uhr] im Wald», sagt Orlando in Wie es euch gefällt . In der geschäftigen Atmosphäre der Stadt aber mussten die Tore geöffnet, die Märkte geregelt, Sitzungen des Rats einberufen, die Öffnungszeiten der Kneipen überwacht werden und die Theatervorstellungen zur rechten Zeit beginnen. Dr. Paul Glennie von der Universität Bristol hat die Geschichte der Zeitmessung in England untersucht:
«Wichtig für die Städte, zumindest große Städte, ist die Uhrendichte. In London beispielsweise gab es rund 110 Kirchengemeinden, von denen etwa die Hälfte Uhren hatten, die die Stunde schlagen. Es macht nämlich einen erheblichen Unterschied in der Zeitmessung, ob sie mit Glocken geschieht oder ob man auf das Zifferblatt schauen muss; der Glockenschlag erreicht ein ziemlich weites Gebiet. Sie mögen nicht alle exakt gleich gegangen sein, doch es wurde ein großer hörbarer Pulsschlag in die Luft, übers Land gesendet.»
    Das könnte der Ton gewesen sein, auf den man hörte, wenn man zu einer Zwei-Uhr-Vorstellung des Globe eilte. Tatsächlich war eine verlässliche öffentliche Zeitmessung wichtig für ein kommerzielles Theater. Das Publikum musste pünktlich erscheinen, den Eintritt zahlen und sich Erfrischungenkaufen. Was Shakespeare den «Zwei-Stunden-Betrieb» des Theaters genannt hat, war abhängig vom pünktlichen Spielbeginn. Die Behörden wollten, dass die Menschen vor Anbruch der Dunkelheit zuhause waren, damit es nicht zu ungebührlichem Verhalten kam; darum begannen die Theatervorstellungen, abhängig davon, wie nah die Sommersonnenwende war, um zwei oder um drei Uhr nachmittags. 1594 versicherte der Lord Chamberlain dem Londoner Lord Mayor: «Wo sie bis dato ihre Spiele nicht vor vier Uhr begannen, werden sie nun um zwei beginnen, & damit durch sein zwischen vier und fünf.»

    Hans Vredeman de Vries (1542–1608), Architekturzeichnung : der Hof eines Gebäudes mit öffentlicher Uhr. Private Uhren waren zu Shakespeares Zeit noch selten. In kleinen und großen Städten verkündeten öffentliche Uhren die Zeit, wobei der Stundenschlag ebenso wichtig war wie das Zifferblatt.
    Dass die Nachmittagsgottesdienste ebenfalls um zwei Uhr begannen, heizte den Widerstand der Kirchen gegen dieTheater noch an. Viele Londoner werden das Mittagsläuten der Kirchen als Zeichen genommen haben, sich auf den Weg ins Theater zu machen.

    Unter allen seinen Stücken ist Das

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