Shakespeares ruhelose Welt
verlor dagegen alle vier Kinder an die Seuche. Shakespeares Leben ist gezeichnet von der Pest: Seine schriftstellerische Entwicklung wurde davon bestimmt, seine Zuschauer fürchteten sie, viele starben daran. Dennoch: Es gibt kein großes Bühnenstück über die Pest, weder von Shakespeare noch von einem seiner Zeitgenossen. Dass sie als Thema fehlt, ist eines der Rätsel der Shakespeare-Forschung.
Doch selbst wenn die Pest nicht auf der Bühne auftauchte, den Gedanken von Zuschauern und Schauspielern wird sie kaum fern gewesen sein. Ganz sicher nicht im Jahr 1603, das der Stückeschreiber Thomas Dekker ohne Weiteres das Wonderfull Yeare genannt hat. Was er «wundervoll» nannte, meint «voller Wunder». Die meisten Londoner hätten die Bezeichnung «Schreckensjahr» gewiss angemessener gefunden.
Am 24. März starb Königin Elisabeth.
«Die Nachricht von ihrem Tod war (wie ein Donnerschlag) geeignet, Tausende zu erschlagen, Millionen brach sie das Herz: denn eine Nation war gewachsen (gewiss unter ihrem Flügel), eine Nation, die unter ihr gezeugt worden war und geboren; die keinem anderen Namen ein Ave zurief als dem ihren, die niemals das Gesicht eines anderen Fürsten sah, niemals verstand, was das fremde ausländische Wort Change bedeutete: Und nun das, wie konnte ihre Krankheit nun doch allgemeine Furcht verbreiten und ihr Tod Bestürzung?»
Auch wenn Elisabeths Tod lange erwartet worden war, die Sicherheit einer fünfundvierzigjährigen Regentschaft war plötzlich vergangen. Niemand wusste, was ihr Nachfolger, ihr ausländischer Cousin Jakob von Schottland, nun vorhatte. Doch wurden die Befürchtungen rund um Jakobs Nachfolge ein paar Monate später noch übertroffen vom schrecklichsten Ereignis all dieser Jahre:
«23. Juni 1603: Insofern die Ansteckung der Pest gegenwärtig stark zugenommen hat und sowohl in den Cities von London und Westminster als auch in den Vorstädten derselben verbreitet ist, sorgt sich die Allerhöchste Majestät des Königs um die große Bedrohung und Gefahr, die daraus folgt nicht nur für Seine Königliche Person, auch für Ihre Majestät die Königin, die Prinzen und Prinzessinnen, für die Ehrenwerten Botschafter der verschiedensten fremden Länder, für die Lords und andere aus dem Ehrenwerten Kronrat Ihrer Majestät, für die Edlen seines Reiches und für die anderen geliebten Untertanen Ihrer Majestät, wenn nämlich Menschen aller Art und aus allen Teilen Seines Reichs sich versammeln und weiterhin ihren Anliegen und Angelegenheiten nachgehen.»
Jakobs Regentschaft begann mit einer fürchterlichen Prüfung: Nicht mit Umzügen vor jauchzenden Bürgern, sondern mit der Pest. In der British Library aufbewahrte Quellen zeigen, wie der neue König versucht hat, dieser völlig unbeherrschbaren Situation Herr zu werden. Es ist eine Folge königlicher Proklamationen, jede von ihnen separat auf einem oder zwei großen Bögen veröffentlicht, etwa in der Größe unserer Tabloidzeitungen. Diese Proklamationen sind das Äquivalent der Nachrichtenticker, die heute über die Bildschirme laufen:
«LOVELL: Nicht Neues just, Mylord, als die Verordnung,
Die eben jetzt am Schloßtor klebt.»
«KÖNIG HEINRICH: Dies habt Ihr schon [zur Sprach’ gebracht,
Auf Märkten ausgerufen, verlesen in den Kirchen …]»
Diese Proklamationen waren dafür gedacht, massenhaft im Land verteilt, laut verlesen und dann an öffentlichen Orten angeschlagen zu werden. Am Kopf dieser Blätter stehen die königlichen Wappen, alle beginnen sie mit der Formel: «By the King». Der erste Buchstabe dieser Verlautbarungen ist ein geschmücktes Initial, der Text in fetten Lettern gesetzt, wie sie nur für amtliche Dokumente benutzt wurden.
Massenkommunikation war eines der wenigen Mittel, mit denen die Behörden versuchen konnten, der Ausbreitung der Krankheit entgegenzuwirken. 1574, nach einem besonders schweren Ausbruch, wurde eine Folge von Proklamationen gedruckt und an Pfosten aufgehängt. Sie enthielten, vermutlich zum ersten Mal, Instruktionen, wie die Menschen sich angesichts einer Epidemie verhalten sollten. 1583 wurde in Gemeindekirchen und in ganz London eine noch genauer ausgearbeitete Liste mit Anordnungen angeschlagen. Das wurde zur Routine bei allen weiteren Ausbrüchen der Pest und bis zum allmählichen Verschwinden der Krankheit nach der Großen Pest von 1665. Nach dem schweren Ausbruch von 1592 gingen die Behörden dazu über, auch Sterbelisten auszuhängen, die «London Bills of Mortality»:
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