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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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erprobte Favoriten wie Romeo und Julia aufführten. Gerne würde man wissen, wie diese Zuhörer auf den Fluch des sterbenden Mercutio reagiert haben: «[Die Pest über beide eurer Häuser!»]
    Mindestens 25.000 Menschen, etwa jeder fünfte Bewohner Londons, starben im Pestjahr 1603. Es war der schlimmste Ausbruch der Seuche, den England seit sechzig Jahren erlebt hatte. Auch wenn die Epidemie 1604 abebbte, blieben die Einschränkungen des Theaterbetriebs sporadisch bis 1610 in Kraft – zwischen Juli 1606 und Anfang 1610 beispielsweise gab es nur eine kurze Wiederaufnahme des Betriebs, im Frühjahr 1608. Die meiste Zeit damals – die Zeit, in der Othello, König Lear, Antonius und Kleopatra, Coriolanus und Cymbeline entstanden – hat sich Shakespeare vermutlich nach Stratford zurückgezogen. Zuvor hatte er jedes Jahr zwei neue Stücke verfasst, nun verlangsamte sich seine Produktion; vielleicht weil es keinen Grund gab, neue Stücke zu schreiben, wenn die Theater sie nicht auf die Bühne bringen konnten. Deren Einnahmen – und damit auch Shakespeares Einkommen – müssen unter diesem Einfrieren des Theaterbetriebs schwer gelitten haben, auch wenn es gelegentliche königliche Zuwendungen gab, um die Kompagnien für die Verluste zu entschädigen. Shakespeare allerdings, als leitendes Mitglied seiner Gesellschaft, wird weniger betroffen gewesen sein als frei schaffende Autoren, die nur pro Stück bezahlt wurden. (Dekkers The Wonderfull Yeare , seine Chronik des Jahres 1603, entstand, weil er damit wenigstens einen Teil der Einkünfte zu erschreiben hoffte, die er sonst mit Stücken erzielte.) Shakespeare konnte sich natürlich glücklich schätzen, die Pest überlebt zu haben, zudem hatte er sich bereits in den 1590er Jahren einen Namen gemacht und es zu einigem Reichtum gebracht – in jener Zeit der blühenden Theaterlandschaft Londons, als die playhouses noch voller Leben waren und die Zuschauer nach immer neuen Stücken verlangten.
    Als das Jahr 1603 zu Ende ging, normalisierte sich das Leben allmählich wieder, und der Hof organisierte seine traditionellen Weihnachtsfeierlichkeiten. Die King’s Men spielten in Hampton Court für ein Honorar von 103 Pfund, zusätzlich wurden ihnen 30 Pfund bewilligt, als Ausgleich für die Verluste während der Pest. Dekker setzte, seiner Lage durchaus angemessen, die Pest mit einer Theaterfigur gleich: «Tod … (wie der heimlich schleichende Tamburlaine) hat seine Zelte aufgeschlagen … in den sündig verseuchten Vorstädten: Die Pest ist Muster-Master und Feldmarschall.» Eine dieser sündigen Vorstädte war Southwark. Am 9. April 1604 öffneten das Globe und die anderen öffentlichen Theater ihre Bühnen wieder, vorübergehend. Schauspieler und Publikum müssen bemerkt haben, dass, vor allem unter den groundlings , viele der alten Stammgäste fehlten.
    Die Einschränkung öffentlicher Versammlungen wurde als letzte aufgehoben. Drei Wochen zuvor hatte Jakob seinen Triumphzug durch die Straßen Londons abgehalten. Im nächsten Kapitel werden wir dieses äußerst theatralische Spektakel betrachten, das jedem unvergesslich blieb, der daran teilnahm.



Kapitel Achtzehn
    London wird Rom
    Londons Triumphbögen
    J ulius Caesar war, wie wir alle in der Schule gelernt haben, einer der größten Feldherren Roms und ein Herrscher, der von seinen Freunden ermordet wurde. Nur wenige von uns halten ihn für einen von Londons frühesten Baumeistern. Shakespeares Zuschauer jedoch sahen auch das in ihm – London, die Stadt, in der sie lebten, betrachtete sich selbst, im physischen wie geistigen Sinn, als lebendige Erbin des antiken Rom.
    Wir sehen den Tower of London als eines der großen Monumente des mittelalterlichen England, sehen ihn wahrscheinlich als das Symbol der normannischen Eroberung. In Shakespeares Tagen aber glaubten die Menschen, der Tower sei nicht von Wilhelm, sondern von einem anderen, noch berühmteren Eroberer errichtet worden:
«PRINZ: Der [Tower] mißfällt mir wie kein Ort auf Erden. –
Hat Julius Cäsar ihn gebaut, Mylord?
GLOSTER: Er hat, mein gnäd’ger Fürst, den Ort gestiftet,
Den dann die Folgezeiten neu erbaut.
PRINZ Hat man es schriftlich oder überliefert
Von Zeit auf Zeiten nur, daß er ihn baute?
BUCKINGHAM: Schriftlich, mein gnäd’ger Fürst.
PRINZ: Doch setzt, Mylord, es wär’ nicht aufgezeichnet:
Mich dünkt, die Wahrheit sollte immer leben,
Als wär’ sie aller Nachwelt ausgeteilt,
Bis auf den letzten Tag der Welt.
GLOSTER beiseit : Klug

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