Shakespeares ruhelose Welt
allzubald, sagt man, wird nimmer alt.»
Wenceslas Hollar, The Tower of London , 1647. Dort begannen traditionell die Krönungszeremonien englischer Könige; dort verbrachten sie die Nacht vor der Krönung, und von dort zogen sie feierlich in die City of Westminster.
Es waren nicht nur die jungen, im Tower eingekerkerten Prinzen, die diesen für ein römisches Bauwerk hielten. Auch der Königin in Shakespeares Richard II. schauert es angesichts des «Kieselbusens» dieses «von Julius Caesar mißerbautem Turm».
Kerker oder Palast, römisch oder nicht römisch, stets hatte der Tower eine dominante Präsenz in London. Er war der Ort, an dem am Tag vor ihrer Krönung die Könige ihren triumphalen Einzug in die Stadt begannen. Sie wollten sich den Bürgern zeigen, die zusammenliefen, ihn willkommen zu heißen. Dieses Ritual des königlichen Einzugs folgte einer antiken römischen Tradition – gab es also einen besseren Ort, diesen Triumphzug zu beginnen, als den Tower, den alle für ein Bauwerk Julius Caesars hielten?
Am 15. März 1604 war Jakob an der Reihe, nun hielt er zeremoniell Einzug in seine neue Hauptstadt. Er war bereits ein Jahr gekrönter Herrscher, doch, wie im vorigen Kapitel dargestellt, war sein der Krönung vorangehenderFestzug wegen der Großen Pest von 1603 abgesagt worden. Nun aber war die Seuche abgeflaut, die City keine Gefahr mehr für die Massen, die sich versammeln würden, also machten sich rund 250 Tischler, Maler und Holzschnitzer, Schneider, Schauspieler und Musiker ans Werk.
Sie schufen sieben Triumphbögen, zusammengeschlagen aus Holz und Gips, angemalt und vergoldet, dekoriert mit Figuren und Gemälden. An sieben Punkten überspannten sie die Straßen, durch die Jakob vom Tower über den Strand in der City zog, der größte 27 Meter hoch und 21 Meter breit. An jedem würde der König Halt machen, um den Bogen zu bewundern, an jedem war eine Aufführung mit Musik, Tanz, Straßentheater und Liedern vorbereitet – die meisten der Texte dazu hatten die Stückeschreiber Thomas Dekker und Ben Jonson verfasst. Es war genau das stadtweite Straßenfest, das in Heinrich V. imaginiert wird:
«CHOR: Nun aber seht
In reger Schmied’ und Werkstatt der Gedanken,
Wie London seine Bürgerschaft ergießt.
Der Schulz, samt seinen Brüdern, all’ im Staat,
So wie im alten Rom die Senatoren,
An ihren Fersen der Plebejer Schwarm,
Gehn, ihren Sieger Cäsar einzuholen.»
Am 15. März 1604, einen ganzen Tag lang, phantasierte sich das reale London in die Rolle des antiken Rom, sah Jakob als «siegreichen Caesar», der nun Frieden und Wohlstand garantieren würde.
Direkt nach dem Umzug wurden die sieben Bögen wieder abgerissen und zerlegt, doch wir wissen, wie sie aussahen: Als prächtige Drucke wurden die Entwürfe in einer Erinnerungsmappe veröffentlicht. (Zu kaufen gab es sie bei den Druckhändlern im «White Horse» in Pope’s Head Alley.) Thomas Dekker, von seinem Mitautor und Rivalen Ben Jonson als billiger Schreiberling abgetan, war wie stets zur Stelle, wenn sich Publikationsmöglichkeiten boten, und warf einen Bericht auf den Markt; der Text wurde als Flugschrift vertrieben und informiert nun auch uns ausführlich über diesen Tag.
Der erste Bogen, in der Fenchchurch Street errichtet, setzte den Grundton. Der Druck zeigt einen grob klassischen, mehr oder weniger römischenBogen, gekrönt von einem riesigen Modell der Londoner City. Die alte St. Paul’s Cathedral ist umgeben von gotischen Kirchturmspitzen, gleichwohl wird das gesamte Zuckerbäckerwerk stolz mit dem klassischen Namen LONDINIVM bezeichnet – das frühneuzeitliche London als römische Stadt, die Stadt an der Themse ihrer Schwester am Tiber gleichgestellt. Prätentiös? Gewiss. Übertrieben ehrgeizig? Auch das. Aber es brachte auf den Punkt, wie London sich sehen wollte.
Edward Alleyn von den Prince’s Men , der prominenteste Darsteller bei Jakobs feierlichem Einzug. Er war berühmt durch seine Rollen als Tamburlaine und Dr. Faustus. (Unbekannter Künstler, 1612)
Wie alle anderen ist auch der erste Bogen voller klassischer Symbole und lateinischer Inschriften. Als sich Jakob näherte, traten verschiedene Schauspieler hervor, manche auf dem Bogen selbst, um den König zu grüßen, unter ihnen eine Göttergestalt, die die Themse verkörpern sollte, was uns als bizarre Einmündung des klassischen Heidentums in den totemistischen Fluss des protestantischen London erscheint. Die Renaissanceforscherin Elizabeth McGrath
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