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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Gemeinde für Gemeinde führten sie die Namen der Toten auf; die Listen konnten für einen Penny gekauft werden (zum Eintrittspreis des Globe ). Als die Pest von 1603 ihren Höhepunkt erreichte, wurden diese Listen jede Woche in großer Auflage verteilt; sie lieferten eine kontinuierlich aktualisierte Pestkarte von London, der sich entnehmen ließ, wo die Pest wütete und wo man sich einigermaßen sicher fühlen konnte.
«6. Juli 1603: Weil Wir bemerken, dass die Pest in Unserer Stadt London noch täglich zunimmt und sich (zu Unsrer Betrübnis) eher noch vergrößert als sich mindert, des weiteren aus Gründen der Jahreszeit und wegen des Zusammenströmens der Menschen in Unserer besagten Stadt gegen die Zeit Unserer Krönung, einige um ihren Pflichten nachzukommen in solchen notwendigen Diensten, die ihnen zu solchen Feierlichkeiten obliegen, und manche ob des Glücks, das sie empfinden beim Anblick Unserer Person, der Königin, Unserer geliebten Ehefrau, und Unserer Kinder.»
    Blättert man durch Jakobs Proklamationen des Jahres 1603, die versuchen, das Unheil einzudämmen, und die doch aus immer größerer Entfernung von der pestverseuchten Hauptstadt erlassen wurden, drängt sich der Eindruck auf, dass sich der König auf der Flucht befand: «Gegeben in Unserer Manorof Greenwich», «Gegeben in Unserem Castle of Windsor», «Gegeben in Unserem Honour of Hampton», danach in Southampton, Winchester und Wilton. Es war ein unglücklicher Beginn einer Regentschaft – doch das klügste, was man angesichts der Pest tun konnte, war in der Tat die Flucht. Dazu der Medizinhistoriker Richard Barnett:

    «A true Bill of the whole number that hath died» – gesetzt von Henry Chettle. Londoner Sterbelisten erschienen entweder in kurzen Abständen, nannten Gemeinde für Gemeinde die Toten, oder sie fassten, wie hier, die Toten eines längeren Zeitraums zusammen.
«Regierungen und Staaten zur Shakespearezeit waren schon beunruhigt, dass die Menschen vor der Pest davonliefen. Andererseits, wer Aristokrat ist und einen Landsitz sein Eigen nennt, wer Priester oder Arzt ist und einem College in Cambridge oder Oxford angehört, in die man sich zurückziehen kann, wird genau das tun wollen. Doch herrschte in dieser Zeit auch große Angst, dass die Menschen, wenn sie aus der Stadt flohen, die Seuche noch schneller verbreiten würden, und aus diesem Grund begannen Regierungen und Staaten damit, sich mit neuen Verordnungen über Quarantäne und mit Beschränkungen der Reisefreiheit einzumischen.»
    Jene, die nicht in der Lage waren davonzulaufen – Menschen wie die groundlings , die einen Penny für einen Stehplatz im Theater zahlten –, waren auch diejenigen, die am meisten zu leiden hatten, und das Leiden traf sie schwer, wie Richard Barnett ausführt:
«Die verbreitetste Form der Pest und diejenige, die mit den historischen Epidemien am häufigsten verbunden wird, ist die Beulenpest. Das Bakterium gelangt in den Körper, setzt sich in den Lymphknoten fest, die man an Hals und Schulter, den Achselhöhlen und in der Leistengegend findet: Diese schwellen an, verfärben sich schwarz, manche brechen auf, und man bekommt scheußliche Abszesse. Mit der Beulenpest verbunden ist hohes Fieber und multiples Organversagen; der Körper stellt langsam seine Funktionen ein.»
    Beulenpest – die Schwarze Pest – ist in Britannien seit dem vierzehnten Jahrhundert immer wieder aufgetreten. Verbreitet von Flöhen der Hausratte war sie eine der Plagen heißer Sommer. War die Seuche da, verbreitete sie sich rasch und todbringend, unterbrach also das gewohnte Leben in der Stadt, so dass selbst auf den geschäftigsten Straßen Unkraut und Gras zu wuchern begannen. Auch während der Londoner Epidemie von 1592 hatte Shakespeare Glück. Die Behördenschlossen die Theater – und der vielversprechende junge Theaterautor entdeckte seine Liebe zur Poesie. Er fand einen Gönner – den Earl of Southampton – und schrieb seine Langgedichte Die geschändete Lucretia und Venus und Adonis , die ihn zum Star unter den Literati machten. Doch selbst seine Venus scheint zu bemerken, was in der realen Welt vor sich geht, wenn sie, flüsternd, die Lippen ihres Liebhabers mit diesem verblüffenden Kompliment bedenkt:
«[Lang mögen sie zu solcher Kur sich küssen!
O, dass ihr Purpur nun nicht und nie erbleiche!
Denn so sie blühn, bleibt ihre Kraft bestehn,
diesem Schreckensjahr die Seuche auszutreiben!
Daß dann die Seher nicht vom Tod mehr künden,
sondern sagen,

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