Shakespeares ruhelose Welt
beschreibt den Anblick:
«Es waren verschiedenste Figuren darauf, Personifikationen der Tugenden, allegorische Figuren; tatsächlich waren die Leute so kostümiert, dass sie diese Figuren darstellten. Der Flussgott Themse erhebt sich – normalerweise werden die antiken Flussgötter liegend dargestellt –, außerdem sind sie nackt, doch wir wissen, dass der Jüngling, der den Fluss darstellte, in einen hautengen Lederanzug gesteckt worden war, um Nacktheit zu simulieren; zudem war er blau angemalt, das Blau sollte für Wasser stehen (wobei die Themse niemals blau war, damals noch weniger als heute).»
Als nächster erhob sich der «Genius der Stadt», dargestellt von Edward Alleyn, dem größten Schauspieler der Zeit, zudem Leiter der Prince’s Men . Seine Ansprache, so lesen wir bei Dekker, wurde «in exzellentem Spiel vorgetragen, und mit wohltönender hörbarer Stimme». Wenn Stars wie Alleyn teilnahmen, wird das ganze Spektakel, als jakobäisches Straßentheater, einer Royal Variety Performance ähnlich gewesen sein – und die Person, um die es ging, wird, wie stets, nicht sehr lange geblieben sein. Die Menge, schreibt Dekker, war enttäuscht, dass der König so rasch weiterzog, hatten die Leute sich doch «so viele Stunden aneinander gedrängt, um ihn zu sehen». Doch nur wenige hundert Meter weiter, in der Gracechurch Street – diedamals «Gracious Street» genannt wurde – wartete ein zweiter Triumphbogen auf ihn: der Bogen der Italiener.
Unnötig zu sagen, dass sich das Thema «klassisches Rom» mit diesem «großen italienischen Theater» fortsetzt. An seiner Basis tollen die römischen Meeresgötter Neptun und Amphitrite in den Wellen vor der Küste Kents. Es gibt lateinische Inschriften, allegorische Figuren und, im Mittelpaneel über dem Bogen, ein Gemälde, das Jakob wie einen römischen Kaiser zu Pferd zeigt. Die italienischen Kaufleute, die diesen Bogen finanziert hatten, saßen auf Tribünen und ließen den König mit weiteren Ansprachen grüßen, diesmal in Latein. Solche Reden waren nicht ganz so abschreckend, wie es uns erscheinen mag, die Zuschauer werden eine Menge verstanden haben. Dazu Jonathan Bate:
«Das Studium der klassischen Literatur, insbesondere der des antiken Rom, stand unangefochten im Zentrum damaliger Bildung. Man studierte nicht englische Geschichte, sondern die der Antike. Man las Werke wie zum Beispiel Livius’ Römische Geschichte , Plutarchs Große Griechen und Römer , die «Parallelbiografien». Ganz wichtig war auch das Studium der großen politischen Texte, insbesondere der von Cicero. Chaucer dagegen wurde nicht gelesen, überhaupt keine Texte in englischer Sprache, studiert wurde lateinische Literatur: Vergil, Ovid, Horaz. An Shakespeares Werken können wir erkennen, wie gut er diese Dichter kannte.»
Auch Shakespeares Bühnengestalten zeigen uns, dass sie Horaz, Vergil und Ovid gelesen hatten. In Titus Andronicus tritt der junge Lucius «mit Büchern unter dem Arm» auf die Bühne und erklärt recht beflissen:
«KNABE: Herr, des Ovids Metamorphosen sind’s:
Die Mutter gab sie mir.»
Und nicht nur Jungen lasen die Autoren des antiken Rom: auch viele Mädchen erhielten Unterricht in klassischen Sprachen. In Der Widerspenstigen Zähmung wird Bianca zu ihrer wöchentlichen Lateinstunde bestellt. Welcher Mann könnte langweiliger sein und weniger aufregend als ein Lateinlehrer? Mit ihm kann der besorgte Vater sie getrost alleine lassen. Doch wenn sich herausstellt, dass in den Lehrerkleidern ein Verehrer steckt, kann das Übersetzen alter Texte durchaus vergnüglich werden:
The Italians Pegme (Schaugerüst), aus: Stephen Harrison, The Arches of Triumph , London 1604. Im Mittelfeld des Bogens sieht man, wie Jakob I., Caesar ähnlich zu Pferd, von Heinrich VII. (sitzend) gegrüßt wird.
«BIANCA: Wo blieben wir?
LUCENTIO: An dieser Stelle, Fräulein:
Hac ibat Simois, hic est Sigeia tellus,
Hic steterat Priami regia celsa senis.
BIANCA: Wollt Ihr das übersetzen?
LUCENTIO: Hac ibat – wie ich Euch schon sagte; – Simois – ich bin Lucentio; – hic est – Sohn des Vincentio in Pisa; – Sigeia tellus – so verkleidet, um Eure Liebe zu erflehen; – hic steterat und jener Lucentio, der um Euch wirbt; – Priami – ist mein Diener Tranio; – regia – der meinen Namen trägt; – celsa senis – damit wir den alten Herrn Pantalon anführen.»
Zuschauer, die sich über Teenager amüsieren konnten, die auf Lateinisch flirten, werden wohl auch imstande gewesen
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