Shakespeares ruhelose Welt
endlosen lateinischen Festreden. Einiges davon wurde, wie Dekker vermeldet, erst gar nicht oder nur abgekürzt vorgetragen – «eine Rücksicht, die man nahm, auf dass Seine Majestät nicht gelangweilt werde mit ermüdenden Vorträgen». Alles war auf einen königlichen Zuschauer hin erdacht worden, und nur der König mit Familie und Hofgesellschaft wäre in der Lage gewesen, daraus schlau zu werden (vorausgesetzt, er hätte sich lange genug konzentrieren können). Die Menge der Zuschauer, so sehr sie sich bemüht haben mögen, der Prozession zu folgen, wird eine allenfalls vage Idee vom ganzen Geschehen gewonnen haben. Viele, so ist anzunehmen, sind nur dort gewesen, um den König und seine Entourage zu sehen, dabei umsonst zu essen und zu trinken; Straßentheater und Reden werden sie weniger interessiert haben. Das Gold und der Prunk der königlichen Roben waren gewiss nichtminder attraktiv als die Chorknaben von St. Paul’s, die man als Ceres und Pomona ausstaffiert hatte.
Wir wissen nicht, welche Rolle Shakespeare und seine King’s Men an diesem Tag spielten. Bestimmt haben auch sie etwas beigetragen, Dekker jedoch erwähnt ausschließlich die Prince’s Men . Das war die Truppe, für die er selbst oft schrieb, und Edward Alleyn, ihr Leiter und ein enger Freund, hatte geholfen, Dekker aus dem Schuldturm zu befreien. Kaum war der Tag vorüber, wurde die ganze Schau so rasch wieder abgebaut, wie sie entstanden war. Wie Prosperos Türme und Paläste verschwanden auch die Aufbauten wieder. Eines aber hielten die Triumphbögen in ihrer Pracht, ihrem flüchtigen Glanz ausdrücklich fest: London war nicht nur die Erbin Roms, Jakob I. war der Garant einer neuen klassischen Ordnung und Autorität. Durch das fließende Medium der Straßentheater wurde die Illusion einer zeitlosen Legitimität beschworen.
Diese Verwandlung des modernen Lebens ins antike Rom funktionierte in beide Richtungen. Wenn die Fleet Street für einen Tag zum Forum werden konnte, dann konnte dieses hin und wieder auch Whitehall sein. In allen römischen Stücken – Julius Caesar, Coriolanus, Antonius und Kleopatra – steht die antike römische Geschichte für die englische Innenpolitik. Jeder im Publikum konnte das leicht erkennen. Dazu nochmals Jonathan Bate:
«Gegen Ende von Königin Elisabeths Leben schauten die Menschen auf das Beispiel des antiken Rom, und sie fürchteten sich vor einem Bürgerkrieg, der dort wie hier drohte, wenn die Nachfolge oder das Regierungssystem unsicher waren. Julius Caesar ist ein Stück – Shakespeare schrieb es 1599 –, das genau diese Fragen anschneidet. Welche Art Staat würde man haben? Würde man einen Monarchen oder einen Kaiser haben oder doch ein eher republikanisches System? Als König Jakob 1603 den Thron bestieg, begann er ein Bild von sich zu entwerfen, als sei er so etwas wie der römische Kaiser Augustus, der Rom nach einer langen Periode der Bürgerkriege Einheit brachte. Jakob sah sich als denjenigen, der der Nation Frieden und neue Größe verschaffen würde – dem diente das neue Bild des Königs, das er durchsetzen wollte. Und aus eben diesem Grund sorgte er dafür, dass bei seinem Einzug in London und der Feier seiner Krönung die Idee des Römischen Imperiums durch die Triumphbögen beschworen wurde.
Wie Jakobs Prozession sind auch Shakespeares römische Stücke eine berauschende Mischung von Antike und Neuzeit, von Römischem und Britischem. Auf seine Weise trifft dies auch auf das Globe zu. Allein schon die Idee eines Theaters ist klassischen Ursprungs, und die Gestaltung der neuen Londoner Theaterhäuser wurde abgeleitet aus erhalten gebliebenen römischen Amphitheatern in Frankreich und Italien. Shakespeares römische Stücke wurden aufgeführt in einem Ambiente, das so etwas war wie ein dauerhafter Triumphbogen, auf dem Menschen erschienen und Reden hielten – die Bühne des Globe . Im heute rekonstruierten Theaterrund kann man die bemalten Säulen und klassischen Details bewundern,die nicht viel anders waren als die an Jakobs Triumphbögen. Und wie jene Bögen die ganze Welt umfassten – Britannien, Arabien, die beiden Amerika –, so wollte auch das Theater den ganzen Globus in einem – letztlich klassischen – Ganzen umfassen.
«Julius Caesars Triumphzug»: Der Majolikateller (Frankreich 1600–1630) vermittelt einen Eindruck, wie prächtig und bunt es beim königlichen Einzug zuging und zeigt zugleich die vorherrschende visuelle Sprache der klassischen Tradition.
Die
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