Shakespeares ruhelose Welt
Leichen verscharrt würden – häufig in Misthaufen, wo dann Leichenteile ausgegraben wurden.»
Claes Jansz, Hinrichtung der Verschwörer des Gunpowder Plot , Visscher 1606. Der Stich zeigt die Abfolge der Ereignisse, vom Herbeischleifen der Verurteilten auf einem Gatter über das Hängen bis zum Aufschlitzen und Vierteilen.
So wurden allen Bemühungen der Behörden zum Trotz weiterhin Reliquien beschafft, konserviert und bewahrt. Immer wieder unterliefen Menschen, die man damit eigentlich hatte abschrecken wollen, das Theater des Schreckens.
Öffentliche Hinrichtungen waren, in einem sehr realen Sinn, Schauspiele. Das Schafott, das die Scharfrichter für Edward Oldcorne, die Gunpowder-Verschwörer und ihresgleichen errichteten, war eine Art Bühne, in Konstruktion und Zweck nur wenig unterschieden von jenen im Theater. Die Menge, die das Publikum stellte, erwartete, dass der Verurteilte vor seinem Tod noch irgendetwas sagte; und viele taten das auch, meist indem sie ihre Schuld bekannten, ihre Treue beschworen und um Vergebung baten.
Das Wort «Schafott» hat eine doppelte Bedeutung; etymologisch ist es Hinrichtungsstätte und Gerüst. In Heinrich V. bezeichnet der Chor die Theaterbühne bekanntlich als «unworthy scaffold to bring forth/so great an object», als «unwürdiges Gerüst» zur Aufführung «solch großen Vorwurfs». In Richard III. ist die Bedeutung von scaffold als Ort öffentlicher Hinrichtung noch deutlicher: «zum Blutgerüst, ihr Haupt da zu verlieren». An beiden Orten waren blutige Spektakel zu verfolgen. In George Peeles Stück The Battle of Alcazar (uraufgeführt um 1590, gerade als Shakespeare zu schreiben begann) werden drei Männer entleibt, und für jeden der drei verlangt die Bühnenanweisung vier Phiolen mit Blut und Innereien eines Schafs.
Exekutionen und Folter gehörten zum Gewebe des öffentlichen Lebens; nicht weniger als 45 Mal werden Folter und Folterknechte in Shakespeares Stücken erwähnt. In Das Wintermärchen erwidert Paulina dem paranoiden König Leontes:
«PAULINA: Welch Martern sinnst du jetzt, Tyrann, mir aus?
Welch Rädern? Foltern? Brennen? Schinden? Sieden
In Öl, in Blei? Welch alt’ und neue Qual
Erdenkst du mir, da jedes meiner Worte
Die Raserei dir schürt?»
Die staatliche Gewalt teilte die Bühne der Öffentlichkeit nicht immer mit den Londoner Theatern, manchmal kollidierten beide auch. Der Stückeschreiber Thomas Kyd, Autor der revolutionären Spanish Tragedy , wurde gefoltert, weil man an Informationen über Christopher Marlowes angeblichen Verrat gelangen wollte, und das Geheimnis, das Marlowes Tod im Jahr 1593 umgibt – offiziell infolge eines Streits unter Betrunkenen, dochseine Ermordung ereignete sich zehn Tage, nachdem er wegen Blasphemie verhört worden war –, ist bis heute nicht gelüftet.
Tom Piper, Bühnenbildner bei der Royal Shakespeare Company , erklärt die praktischen Schwierigkeiten, das Theater der Grausamkeit auf die Bühne zu bringen – das Köpfen, Blenden und andere blutrünstige Szenen:
«Da gibt es diese grausame Szene am Ende von Richard II. , wenn die Köpfe all derer, die gegen [Bolingbroke, den zukünftigen] Heinrich IV. gekämpft haben, einer nach dem anderen auf die Bühne geschleppt werden. Sie dürfen da nicht herumkollern – es wäre ein ziemlich komischer Anblick, wenn ein solcher Kopf über die Bühne hüpfen würde –, deshalb werden sie häufig mit Schrot beschwert. Ein anderes Problem ist die Sache mit dem Blut. Zunächst gibt es da, was wir unser klebriges Blut nennen, das so etwas wie Erdbeermarmelade ist; ähnlich klebrig und elastisch, so dass man es für geronnenes Wundblut nehmen kann. Die Schauspieler lieben es, stets tragen sie da zu dick auf. Und es gibt die andere Art Blut, das in einen Blutbeutel gefüllt wird. Es ist flüssiger, denn es muss durchs Kostüm sickern und sich rasch ausbreiten. Ein wieder anderes Problem machen Augen. Dafür nehmen wir in der Regel Lychees, die man mit Blut füllen kann. Sie haben die richtige Größe, sie sind weiß und sie sind billig. Und sie kommen in Dosen, so kann man sie überall einsetzen, wo in der Welt man gerade spielt.»
Heute können diese blutigen Momente des Bühnengeschehens leicht als ausgedacht erscheinen, gewollt und halbherzig, zu Shakespeares Zeiten aber gerieten sie beunruhigend nahe an die wirklichen Grausamkeiten heran, die die Zuschauer bei öffentlichen Hinrichtungen selbst gesehen haben könnten.
Wenn man sich vorstellt, wie Edward
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