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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt
Autoren: Neil MacGregor
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Shakespeare-Publikum: eines weltweiten Publikums nämlich, zu dem alle gehören, die seine Stücke lesen und sich aneignen können. Als Shakespeares Werk zum Buch wurde, wurde der Mann hinter dem Globe zu einer globalen Gestalt.
    Und zwar «global» im heute aktuellsten Sinn: Johnstounes Exemplar des First Folio befindet sich heute in der Meisei Universität in Tokio, aber ich kann es in London auf meinem Smartphone lesen. Und nicht nur ich, jeder kann es lesen, überall. In Ein Sommernachtstraum schlingt Droll, wie wir ganz zu Anfang hörten, einen Gürtel rund um den Globus, und das in vierzig Minuten; doch in einer Welt modernerer Magie saust Shakespeare im Augenblick um die Welt, und mit jeder Umkreisung gewinnen seine Worte neue Bedeutung. 2012 fand der neu gegründete Staat Süd-Sudan ein Echo seines gerade überwundenen Gründungskonflikts in einer offiziell geförderten Produktion von Cymbeline , aufgeführt auf Juba-Arabisch. Hundert Jahre zuvor hatte ein New Yorker Filmstudio Romeo and Juliet (1911) reima giniert: mit einem unter einem schlechten Stern stehenden Huronen und einer Mohikanerprinzessin. Es war Liebe. Es war Schicksal. Es war Amerika. Es war ein neues Medium. Und Shakespeare war, wie immer, gegenwärtig.

    2012 finanzierte der junge Staat Südsudan eine Aufführung von Cymbeline ; es war zugleich die erste Übersetzung eines Shakespeare-Textes in Juba-Arabisch. Die Produktion wurde zum World Shakespeare Festival im Londoner Globe eingeladen .
    Gegenwärtig war er auch, bekanntlich, auf Robben Island, dem berüchtigten südafrikanischen Gefängnis, in dem während der 1970er Jahre, während des Kampfs gegen die Apartheid, die Führungsriege des Afrikanischen Nationalkongresses gefangen saß. Einer von ihnen war Sonny Venkatrathnam:
«Als ich nach Robben Island kam, gab es keine Bibliothek für uns und auch sonst nichts zu lesen. Ich beantragte, einige Bücher kaufen zu können, und bekam die Antwort, dass ich nur ein Buch haben dürfe. Schließlich wurde mir klar, dass nur ein Buch mich für eine Zeit über Wasser halten würde, und das waren die Complete Works of Shakespeare – schließlich war mir klar, dass sie mir niemals erlauben würden Das Kapital oder so was zu haben.»
    Damit er seinen in Großauflage produzierten Shakespeare-Band in der Zelle behalten konnte, verkleidete Sonny Venkatrathnam sein Buch, indem er den Buchdeckel mit Hindu-Postkarten beklebte, die er zu Diwali, dem höchsten hinduistischen Fest, geschickt bekommen hatte. Der Band gehört heute, als Robben Island Bible bekannt geworden, zur Legende um den Kampf gegen die Apartheid:

    Nelson Mandelas Randbemerkungen in der Robben Island Bible ; auch er wählte die Sätze aus Julius Caesar zur Todesfurcht .
«Etwa sechs Monate vor meiner anstehenden Entlassung ließ ich The Complete Works of Shakespeare zirkulieren und bat meine Genossen, eine Zeile oder eine Passage auszuwählen, die ihnen gefiel und sie zu signieren. Alle wählten sie Passagen, die ihnen Mut machten und sie in ihrem Entschluss zu kämpfen bestärkten.»
    Am 16. Dezember 1977 gelangte der verkleidete «Robben Island Shakespeare» zu Nelson Mandela. Er schrieb seinen Namen neben die folgende Passage über Mut und Tod aus Julius Caesar :
«CAESAR: Der Feige stirbt schon vielmal, eh’ er stirbt,
Die Tapfern kosten einmal nur den Tod.
Von allen Wundern, die ich je gehört,
Scheint mir das größte, daß sich Menschen fürchten,
Da sie doch sehn, der Tod, das Schicksal aller,
Kommt, wann er kommen soll.»
    Die gleiche Stelle hatte William Johnstoune bereits 350 Jahre zuvor in Schottland bewegt; er hatte am Rand notiert: «Tod, ein unausweichliches Ende, wird kommen, wann er will, und ist nicht durch Furcht vorwegzunehmen».
    Der Gefangene Walter Sisulu, der an die rassistische Ungerechtigkeit in Südafrika dachte, wählte nicht Worte, die Othello, der «Mohr von Venedig», ebenfalls Opfer rassistischer Schmähungen, gesprochen hatte. Er wählte Worte des venezianischen Juden Shylock:
«SHYLOCK: Ihr scheltet mich abtrünnig, einen Bluthund,
Und speit auf meinen jüd’schen Rockelor,
Bloß weil ich nutze, was mein eigen ist.
Gut denn, nun zeigt es sich, daß Ihr mich braucht.
Da habt Ihr’s; Ihr kommt zu mir, und Ihr sprecht:
‹Shylock, wir wünschten Gelder.› So sprecht Ihr,
Der mir den Auswurf auf den Bart geleert
Und mich getreten, wie Ihr von der Schwelle
Den fremden Hund stoßt: Geld ist Eu’r Begehren.
Wie sollt’ ich sprechen nun? Sollt’ ich
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