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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt
Autoren: Neil MacGregor
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nicht sprechen:
‹Hat ein Hund Geld? Ist’s möglich, daß ein Spitz
Dreitausend Dukaten leihn kann?› oder soll ich
Mich bücken, und in eines Schuldners Ton,
Demütig wispernd, mit verhaltnem Odem,
So sprechen: ‹Schöner Herr, am letzten Mittwoch
Spiet Ihr mich an; Ihr tratet mich den Tag;
Ein andermal hießt Ihr mich einen Hund …›»
    Stellt man sich Sisulu vor, wie er diese Verse liest, sieht man zugleich, wie es Shakespeare gelingt, die Erniedrigungen des Apartheidregimes in Südafrika heraufzubeschwören. Die Robben Island Bible bestätigt machtvoll die große Wahrheit, dass bei Shakespeare jeder den Spiegel der eigenen Zwangslage finden kann.
    Im Vorspann zum First Folio hat der Zeitgenosse Ben Jonson ein Paradoxon formuliert, indem er Shakespeare als «soul of the age» bezeichnet und dies sogleich erweitert: «not of an age, but for all time» – die Seele nicht allein eines Zeitalters, sondern aller Zeiten. Dazu Jonathan Bate:
«Ich denke, der Schlüssel zu Shakespeares Unvergänglichkeit und zu dem Umstand, dass in jeder Kultur und zu jeder Zeit er zur jeweiligen Gegenwart zu sprechen scheint, liegt in einem Paradox. Einerseits war er Seele eines Zeitalters; alle großen Konflikte, Neuerungen, Veränderungen seiner Zeit, die Entdeckung neuer Welten, neuer Weisen, die Welt zu betrachten, sind bei Shakespeare enthalten. Er war die Seele seiner Zeit, zugleich aber beschränkte er sich nie auf die Partikularitäten seines historischen Augenblicks, und weil er irgendwie jedes Grundproblem der menschlichen Gesellschaft und des Lebens der Menschen aufnahm, spricht er zu jedem Zeitalter. Shakespeare ist immer unser Zeitgenosse.»
    Shakespeares Stücke wurden für ein damals neues Medium verfasst, für das öffentliche Theater im elisabethanischen London. In den 1920er Jahren gelangte Shakespeare in ein wiederum neues Medium, in den Rundfunk, in jenes «luftige Nichts», in dem, wie in den Theatern à la Globe , mit nur wenig Szene und Requisiten allein Worte die Vorstellungskraft befeuern müssen. Als die BBC 1932 ihr neues Sendehaus bezog, wandten sich die Architekten, die nach einem Emblem suchten, das die weltumspannende Reichweite des Senders symbolisieren kann, wie selbstverständlich an Shakespeare. Und so sieht man über dem Eingang zum BBC Broadcasting House zwei Figuren von Eric Gill: ein nackter Junge steht,von einem älteren bärtigen Mann beschützt, auf einer Kugel – Ariel, der unsichtbare Luftgeist, der in Der Sturm Prospero dienstbar sein muss. Um den Schauspieler, der ursprünglich den Ariel spielte, über die Theaterbühne fliegen zu lassen, hätte man Drähte gebraucht, der drahtlose Rundfunk konnte – als er noch in seinen Kinderschuhen steckte – Ariel befreien und Shakespeare rund um den Globus tragen.

    Eric Gill, Prospero und Ariel . Seit ihrer Gründung lag der BBC Shakespeare am Herzen; seit 1932 dominiert diese Skulptur das Broadcasting House in London. Der oft unsichtbare Luftgeist Ariel war eine gelungene Metapher für die Radiowellen .
«PROSPERO: Das Fest ist nun zu Ende; unsre Spieler
Wie ich Euch sagte, waren Geister, und
Sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft.
Wie dieses Scheines lockrer Bau, so werden
Die wolkenhohen Türme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur Teil hat, untergehn
Und, wie dies leere Schaugepräng’ erblaßt,
Spurlos verschwinden. Wir sind [aus solchem Zeug
Wie das der Träume].»
    Shakespeare begann als Textlieferant für etwas, das vielen eine vulgäre Form populärer Unterhaltung zu sein schien, als einer, der die Welt, die er und seine Zuschauer bewohnten, in sprachlichem Technicolor beschrieb; er nahm sich dazu gequälte Geister und spektakuläre Degenkämpfe, Narren und Zerrbilder, ersann eine Menge Späße – gute, schlechte und auch grobe. Er schrieb Lieder und Tänze in seine Stücke, setzte seine Worte so, dass sie zu populären Hits wurden, bis heute. Und doch, Jahrhunderte später, ob im Warschauer Ghetto oder in einem südafrikanischen Gefängnis, Shakespeare spricht auf fast einzigartige Weise zu den unruhigen Verhältnissen der Moderne. Für diejenigen, die die dunklen Augenblicke der Geschichte durchleben, wie auch für jene, die die wilderen oder die süßeren Gestade der Liebe erkunden – für sie alle sind Shakespeares Worte Trost, Inspiration, Erleuchtung und Frage. Einfacher formuliert, sie fangen für uns die Quintessenz dessen ein, was es heißt, ruhelos Mensch zu sein in einer unentwegt
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