Shampoo Planet
mit Eigentumswohnungen.«
»Der Akt des Verschwindens. Gibt es den Brombeerpfad noch?«
»Kaum.«
Neil nimmt einen Zug von seinem Joint, hält einen Moment lang den Atem an und stößt dann eine stinkende Wolke aus. »Der Pfad war eigentlich mehr eine Straße - auf der Jasmine fuhr, als die Fahrrad-Story passierte. Sie war schwanger. Mit dir. Sie war auf dem Weg zum Drugstore, um nach Vancouver zu telefonieren. Norman raste in die andere Richtung und beschimpfte dabei lauthals einen unsichtbaren Angreifer - den Papst oder einen Uferbegradiger von den Kanalinseln. Ich glaube, er brüllte etwas von deutscher Mark, als er voll in Jasmine hineindonnerte. Die beiden wirbelten durch die Luft.«
Wieder ein tiefer, windiger Zug. Mein Haar fühlt sich völlig aufgelöst an.
»Sie lagen beide benommen auf dem Boden, darum bemüht, wieder zu Atem zu kommen, und starrten sich gegenseitig in die Augen, als hätten sie sich gerade geliebt. Dann streckte Norman den Arm aus und legte seine Hand auf Jasmines Bauch - auf dich - lächelte, zitterte und ging ruhig davon. Nach diesem Zusammenstoß hörte er auf, von Bänkern und Uferbegradigern gejagt zu werden. Er hörte auf, paranoid zu sein - wenngleich er auf andere Art und Weise immer noch ein Opfer blieb. Aber aufgrund dieser Verwandlung -den Verlust seiner Paranoia - denkt Jasmine, du seiest ein gesegnetes Wesen. Etwas ganz Besonderes. Hat sie dir je gesagt, daß sie annimmt, du besäßest die Kraft zu heilen?« »Nein.«
Neil raucht den Rest des Joints auf. »Aber das tut sie. Sie schickt Norman immer noch Geburtstagsgeschenke. Und Bilder von dir. Dadurch habe ich dich auch wiedererkannt.« Endgültig letzter Zug vom Joint. »Du bist Fotograf?«
»Ich hoffe, richtig professionell zu werden. Wir ziehen gerade nach Los Angeles um.«
»Knips ein Bild von Norman für Jasmine. Seit Jahren haben wir hier keine Kamera mehr gesehen.«
»Spricht Norman? Kann er...« Aber Neil antwortet nicht mehr. Er ist hinüber. Inzwischen ist mir die dampfende Hitze zu viel. Ein paar Minuten lang sitze ich noch da mit meinem katatonischen biologischen Vater, dann verlasse ich das Schwitzzelt und haste zurück zum Haus, während die kalte Luft auf meiner schweißnassen, nackten Haut gefriert. Stephanie steht draußen im Garten. Als sie mich sieht, fleht sie: »Können wir fahren? Ich möchte los.«
»Warte noch. Ich muß den Rauch aus meinem Haar waschen. Gibt es hier eine Dusche, oder warten die immer auf Regen? Und dann muß ich auch noch ein Bild machen.«
»Bitte, mach schnell.«
Vor dem Haus scharen sich die Kinder um das linke Hinterrad des Comfortmobiles, johlend und kreischend wie die Skatebordlümmel im Ridgecrest-Einkaufszentrum.
»Was ist los, Coyote?« frage ich Coyote, den einzigen meiner Halbgeschwister, den ich identifizieren kann. Coyote deutet mit dem Daumen auf einen dünnen, in Lumpen gekleideten Mann mit einem Hinterwäldlerbart, der im Schneidersitz neben dem Wagen hockt und sein Spiegelbild auf dem schwarzen Lack ableckt.
»Das ist Norman«, sagt Coyote.
Bloß weg hier.
Eine Stunde später erhole ich mich im Hitching Post Cafe in Ukiah, Kalifornien, vom Haus meines Vaters.
Dessen furnierte, mit Schellack überzogene Elvis-Uhren, die mit matschigen Kuchen und chemischen Zitronentörtchen gefüllten Vitrinen sowie die auf Sägeblätter gemalten Edelweiß-Stilleben wirken erfrischend lebensbejahend nach diesem morgendlichen Abstieg in den Wahnsinn.
Wir können gar nicht genug Chemikalien in uns reinstopfen: »Koffein - Koffein - Koffein«, säusele ich der Kellnerin entgegen.
»NutraSweet!« ergänzt Stephanie.
»Eßbare Öl-Produkte!«
»Weißen Zucker!«
»Sofort!«
Stephanie und ich haben die ersten drei Meilen zurück auf der offenen Straße gespenstisch gejault, als wären wir gerade dem Rösten bei lebendigem Leibe entkommen, immer noch schwindelig über die geglückte Flucht. Gerade Zeit genug, mein Haar zu spülen, die Klamotten zu wechseln und durch die Tore zu entkommen.
Jetzt wollen wir nur noch die Zukunft sehen. Wie immer sie aussehen mag.
48
Wieder einen Tag später: San Francisco und Holzhäuser, gestrichen mit Farben aus Kinderträumen. Stephanie und ich verirren uns in waberndem Nebel und atmen den schwachen Asbestgeruch der überbeanspruchten Bremsbeläge des Comfortmobiles ein.
Der Nebel verzieht sich, ebenso unsere Atemnot. »Sieh dir nur die Aussicht an, Stephanie - soviel zum Thema Glamour -, 'ne richtige Zukunftslandschaft:
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