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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schimmerte die sinkende Sonne. Die Landschaft war wunderschön, aber diese Schönheit schien tödlich. In der Kälte klingen Geräusche besonders scharf und deutlich. Aber ich hörte nichts, die Stille war nahezu gespenstisch. Nur ab und zu platzte ein gefrorener Ast. Auf der Straße waren weder Reifenspuren noch Fußstapfen zu sehen. Der dunkle Asphalt schimmerte durch die Eiskruste. Mir war, als wanderte ich über zugefrorenes Wasser. Etwas weiter sah ich die Kabel der Hochspannungsleitung wie dicke, eisglitzernde Fäden über dem Boden hängen. Hier war die höchste Stelle von Beaver Creek, ein kleiner Hügel. Von hier aus konnte man die Wälder überblicken. Dort, mitten auf der Straße, versperrte eine Eiswehe die Durchfahrt. Kniehoch nur, aber spiegelblank gefroren wie eine hart glitzernde, versteinerte Welle. Solange die Schneefräse nicht kam, konnte kein Wagen vorbei. Mir war jetzt warm vor Anstrengung, mein Gesicht brannte. Es gab noch eine zweite Straße, die einen Umweg nach Norden machte. Möglicherweise hatte Lela diese andere Strecke gewählt und saß in einem Stau fest. Kalte, blaue Dämmerung senkte sich auf das Eis. Weiter gehen war nicht nur sinnlos, sondern leichtsinnig. Gerade wollte ich umkehren, als ein bleicher Lichtstreifen durch die Wolken schien. Die im weiten Bogen abfallende Straße lag plötzlich hell da. Und weil ich gute Augen hatte, fielen mir in etwa dreihundert Meter Entfernung zwei dunkle Linien auf. Sie führten schräg über den vereisten Asphalt und schweiften plötzlich ins Leere ab. Mein Herz klopfte hart an die Rippen. Ich ging um die Schneewehe herum, stapfte hastig weiter. »Was hast du denn, was?«, murmelte ich. Der Wald säumte die rechte Straßenseite wie eine dunkle Wand, die linke fiel in ein kleines Tal ab. Als ich mich den Spuren näherte, lief mir ein Schauder durch den ganzen Körper, bis in die Kniekehlen hinunter. Die Furcht drückte gegen Eingeweide und Lunge, bis ich kaum noch Luft bekam. Und dann stand ich am Straßenrand, spähte vorsichtig hinunter. Die Böschung fiel fast senkrecht vor meinen Füßen ab; ganze Brocken von Erde und Eis waren herausgerissen worden. Auf halber Höhe lag ein Geländewagen. Das verunglückte Fahrzeug war nicht völlig abgerutscht, ein paar Bäume hatten seinen Sturz aufgehalten. Der Wagen lag schräg, die Räder auf der linken Seite. Ich stellte mir vor, wie das Fahrzeug auf den Straßenrand zugerutscht war, wie die Räder auf dem eisbedeckten Gras ins Schleudern gekommen waren. Zum Glück war kein Benzin aus dem Tank geflossen. Trotzdem hatte es einen gewaltigen Aufprall gegeben. Dach und Türen waren eingedrückt, die Fenster zersplittert. Eine Art Nebel schwamm in meinem Kopf; jemand hatte mal gesagt, so fühle man sich, wenn man ohnmächtig wird. Im Dämmerlicht war der Wagen nur undeutlich zu erkennen. Ich konnte auch nicht sehen, ob sich noch ein Mensch im Fahrzeug befand. Als ich den Mund öffnete, drang eisige Kälte in mir ein. Mir war, als ob die Luft gespalten wäre.
    »Hallo! Ist jemand da?«
    Stille. In mir wirkte dunkel und bedrückend die Angst. Plötzlich glaubte ich einen schwachen Ruf zu hören. Es klang wie ein Stöhnen. Ich zuckte heftig zusammen. Für eine Sekunde stand ich da, starr wie ein Stein. Dann rief ich hinab: »Ich komme!«
    Ich warf die Kapuze zurück, um besser zu sehen, holte die Taschenlampe hervor und knipste sie an. Die Böschung war steil, aber weniger glatt, als ich angenommen hatte. Vorsichtig ließ ich mich über den Straßenrand gleiten, wobei ich mit den Füßen tastete. Die Dornen vereister Brombeerranken blieben an meinen Kleidern hängen. Zum Glück trug ich Lelas Handschuhe. Der abgestürzte Wagen hatte die Eisschicht teilweise weggerissen und meine Stiefel fanden auf Erdschollen und Wurzelknollen Halt. Halt. Da – wieder das Stöhnen, lauter diesmal.
    »Ich komme!«, wiederholte ich. Schweiß verklebte mir die Augen, ich wischte mir mit dem nassen Ellbogen das klebrige Haar aus der Stirn. Ab und zu blickte ich zum Wagen hinunter und plötzlich verlor ich die letzten Zweifel.
    »Lela!«, schrie ich.
    Die Sekunde Unaufmerksamkeit genügte: Ich glitt aus und fiel. Beim Fallen rutschte ich auf der glatten Stoffoberfläche meines Parkas wie auf einem Schlitten. Kleine Steine sausten prasselnd an mir vorbei.
    Instinktiv streckte ich den Arm aus, fand einen Ast, an dem ich mich halten konnte. Mein Herz schlug zum Zerspringen. Es gelang mir, mich durch eine seitliche Bewegung hoch zu

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