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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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verschwitztes Gesicht.
    »Lela, du musst durchhalten … bitte!«
    »Hilf mir, Shana! Lass mich nicht allein!«
    Ich hielt ihre Hand, spürte das Fieber in ihren Pulsadern klopfen. Lelas Mittelfinger musste gebrochen sein, er war geschwollen und bewegungslos. Ich schluchzte tränenlos, sodass jeder Schluchzer nur ein halb ersticktes Zucken war. Sie drückte ganz leicht meine Hand.
    »Shana, hör zu … Meine Geige … die ist für dich.«
    »Ich kann doch nicht …«
    »Mein Vater wird sie dir geben. Ich … ich habe ihm … von dir erzählt.«
    »Lela …«
    »Ich werde sterben, Shana.« Sie war jetzt ruhig und ihre Augen blickten klar. »Es ist gut, dass du bei mir bist. Wenn ich … nicht mehr bin … geh zu Robert Castaldi. Denke daran! Er weiß, wer du bist. Er wird dich unterrichten …«
    »Mach dir keine Sorgen um mich, Lela! Schone deine Kräfte! Ich werde jetzt …«
    »Es hat keinen Sinn, Shana. Ich bin am Ende.«
    Ihre Finger schlossen sich um die meinen.
    »Du musst jetzt an dich denken. An deine Zukunft. Es ist sehr wichtig. Und noch etwas, Shana … Ich werde immer bei dir sein. Dich erst verlassen … wenn du mich nicht mehr brauchst.«
    Ihr Gesicht war fahl, ihre Haut fühlte sich heiß und trocken an. Das Sprechen schien ihr immer größere Mühe zu bereiten.
    »Meine Geige, sie … sie stammt aus Italien. Sie ist eine sehr gute Geige … Sie gehört jetzt dir.«
    Ich nickte wortlos. Ihre Lippen zuckten, als ob sie lächeln wollte. Dann verzerrte sich ihr Mund. Sie stöhnte leise. Schauer durchliefen ihren Körper. Ihr Atem ging stockend. Auf einmal floss Blut aus ihrem Mund, stoßweise, in kleinen Wellen. Ich sah, wie ihre Augen matt wurden, als verdunkle sie ein Schatten. Ihr Kopf lag schwer auf meinem Arm. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Ich spürte, wie ihr ganzer Körper sich verkrampfte. Dann öffneten sich ihre Finger. Ihre Hand glitt aus der meinen und fiel herab. Und nach eine Weile hörte das Blut auf zu fließen.
    Ich flüsterte: »Lela?«
    Nur die Stille antwortete.
    »Lela?«, wiederholte ich.
    Ihr Gesicht, im Licht der Taschenlampe, war weiß wie Elfenbein und friedlich. Die Augen glänzten, doch sie sahen nichts mehr. Nie mehr würden ihre schmalen, starken Finger den Bogen führen. Nie, und wenn es mich auch schüttelte vor Verzweiflung. Die Geister, die ihre Musik herbeirief, hatten sich abgewandt; dunkle Winterwolken trugen sie fort. Die Augen der Verstorbenen bleiben offen, wenn man sie nicht zudrückt. Als meine Mutter im Krankenhaus starb, hatte es eine Schwester getan. Ich wagte Lela kaum zu berühren, aber irgendjemand musste es tun. Ich konnte sie nicht mit offenen Augen in die Nacht starren lassen. Zögernd legte ich die Hand auf Lelas Gesicht; ihre Haut war noch warm. Ich drückte leicht auf ihre Lider und sie fielen herunter. Ich war überrascht, wie leicht es ging. Auf dem Boden fand ich eine zusammengeknüllte Decke; auch sie war mit Blut getränkt. Ich suchte einen Teil, der sauber war, und hüllte Lela darin ein. Sie soll nicht frieren,dachte ich und dieser Gedanke kam mir merkwürdig vor. Als ich behutsam aus dem Wagen kroch, hörte ich, wie das Blech auf die Sträucher drückte. Lange hielt das Unterholz das Gewicht nicht mehr aus. Es war nicht völlig dunkel. Von der frischen Eisschicht ging ein mattes Leuchten aus. Ich fand einen abgebrochenen Ast, den ich bei jedem Schritt in den Boden rammte. Auf diese Weise zog ich mich hoch, erklomm die Böschung und erreichte den Straßenrand.

15. KAPITEL
    Atemlos lief ich durch die Dunkelheit. Eine Zeit lang waren das keuchende Auf und Ab meines Atems, das Knirschen meiner Schritte auf der Eisschicht die einzigen Geräusche weit und breit. Ich wusste, dass Lela gestorben war, natürlich wusste ich es, aber ich dachte immer wieder, vielleicht ist sie nicht wirklich tot, vielleicht ist noch Zeit, sie zu retten. An diesem Abschnitt der Straße war der Wald zu beiden Seiten dicht. Ein paar Mal rutschte ich in der Dunkelheit aus und einmal fiel ich schwer auf die Seite. Der Stoß ging mir durch den ganzen Körper. Ich dachte, jetzt habe ich mir einen Arm gebrochen oder ein Bein. Aber nein, nichts: Ich kam wieder hoch, lief weiter. Ich schwitzte und fror gleichzeitig, weil der Schweiß sofort auf der Haut trocknete. Noch hatte ich die Passhöhe nicht erreicht. Auf der Suche nach Lela war ich weiter gegangen, als ich dachte. Auf einmal vernahm ich ein Geräusch, das beinahe klang, als atme jemand. Mir kam in den Sinn, dass ich

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