Shane - Das erste Jahr (German Edition)
anderen.
Auf der linken Seite, zwischen den Schränken, sah sie jemanden kauern.
Max.
Sein Pullover war etwas hoch gerutscht, und Shane konnte ein Stück von seinem weißen wabbeligen Bauch erkennen.
Vor ihm hockte Rambo, mit einem Zirkel in der Hand. Er piekste mit der Miene in das Fleisch. Max wimmerte.
Rambo drehte den Zirkel in der Hand, so dass sein Opfer nicht wusste, ob ihn beim nächsten Mal die metallene Spitze treffen würde.
Shane war herangetreten. Sie schluckte.
Rambo drehte sich um. Er blickte zu ihr auf.
„Ah, Shane, die schwarzhaarige Ratte! Wie nett, dass du zum Zuschauen gekommen bist!“ Er blickte wieder auf Max, der sich noch weiter in die Ecke drängte. „Ja, so machen wir’s, fettes Schwein! Erst nehme ich mir dich vor, und dann deine kleine Rattenfreundin!“
Der Zirkel drehte sich. Die Spitze bohrte sich in weißes Fleisch. Ein rotes Rinnsal lief hinab. Max jaulte auf.
Shane erstarrte. Eisige Kälte durchkroch sie, fuhr durch ihren Körper wie mit gefrorenen Fingern.
Rambo erhob sich und drehte sich zu ihr um. Er grinste. „Was ist, Hexe? Willst du noch mehr sehen?“
Shane schluckte. Sie schien keine Luft mehr zu bekommen. Sie fuhr mit der Hand an ihre Kehle. Ein riesiger Eiszapfen schien in ihr zu stecken.
Rambo zuckte die Schultern. „Also gut, dann werd ich mal ’nen Zahn zulegen.“ Er war gerade dabei, sich umzudrehen, als ihn etwas zu packen schien.
„Lass ihn in Ruheeee!“ Shane wollte ihn anschreien, sie wollte, dass er aufhörte, doch aus ihrem Inneren schoss eine schwarze Welle aus purer Wut. Böser Wut.
Ihr Oberkörper flog nach vorn, ihre Augen waren aufgerissen, sie spürte einen reißenden Schmerz in ihrem Kiefer, der sich über das ganze Gesicht ausbreitete.
Schwarzer Nebel kroch aus ihren Augen und aus ihrem Mund.
Rambo wurde davongeschleudert, er flog über den Flur und knallte an die gegenüberliegende Spindreihe. Ein hässliches Knacken entfuhr seinem Körper.
Max riss die Augen auf. Er starrte Shane an und kroch wie in Zeitlupe zur Seite.
Die beiden Kumpane glotzten auf ihren Freund, drehten sich dann fast gleichzeitig um und rannten davon.
Maria schaute Shane an, in ihrem Blick lag blankes Entsetzen, Entsetzen und Angst.
Sie setzte langsam einen Fuß vor den anderen und ging an ihr vorbei. Dann half sie Max hoch. Die Beiden starrten sie an.
Shane atmete langsam aus. Schwarzer Nebel fiel träge zu Boden. Ihre Gedanken überschlugen sich, sie versuchte etwas zu sagen, doch sie konnte keinen Gedanken fassen, und aus ihrem Mund floss nur der schwarze Nebel wie verdorbene Brühe.
Dort, wo aus ihrem Inneren etwas herausgeschossen war, etwas, was Rambo davon geschleudert hatte, breitete sich nun Schmerz aus, wie ein Messer schien er in ihr zu wüten und sie auseinanderreißen zu wollen.
Sie fasste sich an den Kiefer.
Ihr wurde für einen Moment schwarz vor Augen, und sie war sich sicher, dass sie gleich ohnmächtig werden würde, sie musste ohnmächtig werden; entweder das, oder sie würde aufwachen, aufwachen aus diesem Traum, einem Traum der noch viel schlimmer war als der andere, viel schlimmer, als sie sich je hätte vorstellen können.
Die Gedanken wirbelten weiter durch ihren Kopf, sie sah sie vorbeifliegen wie verglühende Silvesterknaller, sie waren …böse. Unfassbar böse.
Grausam, gewaltsam, unglaublich bösartig.
Shane riss die Augen auf. Hör auf! Hör auf!
„Was ist denn hier los!“ Hinter ihnen stand der Schmauss.
„Sie geht noch nicht einmal mehr raus!“ Die Mutter setzte sich auf die Couch.
„Sie hatte halt Streit in der Schule, na und?“
„Streit? Deswegen haben wir einen Termin bei der Schulpsychologin bekommen?“
„Siehst du, das ist genau das, was ich meine!“ Der Vater warf die Arme hoch. Weingläser klirrten in seiner Hand. „Ich habe mit den Eltern von M und M gesprochen. Auch sie haben einen Termin bei der Psychologin. Weißt du, wieso? Max, weil er nicht mehr aufhört zu essen seit dem Vorfall, und Maria, weil sie nicht darüber sprechen will. Weil sie nicht darüber sprechen will! Ist dir klar, wie dämlich das klingt?“
Er stellte die Gläser auf dem Tisch ab. „ Sie lassen die Kinder nicht mal Kinder sein. Ständig müssen sie an ihnen rumdoktern!“
„Und mit sie meinst du mich?“
Der Mann schaute seine Frau an.
Er nahm neben ihr Platz. „Gertie. Lass ihr etwas Zeit.“
Die Mutter öffnete den Mund. Der Vater legte seine Hand auf ihre. „Wir sollten ihr etwas Zeit
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