Shanera (German Edition)
versuchte hatte, sich nichts anmerken zu lassen. Der Versammlungssaal, den sie jetzt betraten, mit den drei geschwungenen Wänden, den verästelten Säulen und der hohen Kuppeldecke war aber so prachtvoll, dass sie vor lauter Staunen beinahe vergass, ihren Begleitern zu folgen. Die Tempelanlagen in ihrem Dorf, die sie früher immer bestaunt hatte, erschienen plötzlich eng und armselig im Vergleich zu den Bauten dieser Stadt.
Als Kessy sie leicht anstupste, schluckte sie und folgte den anderen zu einem Platz am Rande des inneren Bereichs. Sie lehnten sich an eines der dort befindlichen Metallgeländer. Der große Raum außerhalb der Geländer schien sich nach und nach mit Zuschauern zu füllen. Shanera wurde von einigen neugierig beäugt.
Vor ihnen, in der Mitte des Saals, bildeten knapp zwei Dutzend Flussleute einen lockeren Kreis um einen großen runden Tisch. Auf ihrer Seite stand niemand, so dass sich alle sehen konnten, ohne sich umzudrehen.
„Hier rechts haben wir die Religiösen“, flüsterte Rey der immer noch etwas überwältigt wirkenden Beobachterin ins Ohr. „Ihr Anführer ist Alnidas, nicht mehr ganz der Jüngste. Links die Fortschrittlichen. Eris und Irinos sind ihre Führer, leider sind sie sich nicht immer ganz einig.“
Shanera nickte, während sie versuchte, die Männer zu mustern, ohne sie unhöflich anzustarren. Frauen schienen hier mit der Führung nicht viel zu tun zu haben.
„Wer sind die in der Mitte?“, flüsterte sie.
„Die Stadtregierung“, bekam sie zur Antwort, dann hob Rey die Hand, wie um weitere Fragen abzuwehren. „Entschuldigung“, murmelte er. Die Männer am Tisch hatten sich ihnen zugewandt und die Zuschauer im Saal verstummten. Rey erhob die Stimme.
„Überaus geschätzte Stadtbewohner! Habt nochmals Dank für die freundliche Aufnahme und für die Zeit, die Ihr Euch nehmt, unsere Vorschläge zu bedenken und zu besprechen. Seid gegrüßt.“
Überaus geschätzte Stadtbewohner? Shanera zwang sich, eine ernste Miene zu bewahren. Es klang ein bisschen theatralisch, ganz zu schweigen von den weniger hochachtungsvollen Äußerungen, die sie zuvor von ihren neuen Begleitern über die Flussleute gehört hatte. Vielleicht war eine solche Sprache aber hier üblich.
Der Mann in der Mitte, vermutlich Kopf der Stadtregierung, räusperte sich. „Seid ebenfalls gegrüßt.“ Seine Augenbrauen hoben sich ein wenig, als sein Blick auf Shanera fiel. „Wie ich sehe, habt Ihr einen neuen Begleiter?“
„Unsere geschätzte Begleiterin ist nur als Beobachterin hier. Sie ist ebenfalls an Verhandlungen mit uns interessiert. Sie wird sich aber an dieser Unterredung nicht beteiligen.“
Shanera war über diese abwertend erscheinende Vorstellung etwas verärgert. Vermutlich hielt man sie für eine niederrangige Vertreterin oder gar Dienerin eines unbedeutenden Volkes. Kessy zwinkerte ihr jedoch aufmunternd zu und zumindest hatte sie vorerst keine Probleme zu fürchten. Für die Flussleute schien das Thema damit erledigt, denn die Blicke wandten sich von ihr ab.
Der Vorsitzende begann zu erklären, dass es sich um die siebte Sitzung der Verhandlungen zwischen den Flussleuten und den Fremdlingen handelte. Offenbar ging es um einen begrenzten Handel und kulturellen Austausch, soweit sie den Vortragenden verstand. Klar wurde jedenfalls, dass in den bisherigen Runden nicht viel herausgekommen war.
Bevor aber die Themen des heutigen Tages angesprochen werden konnten, meldete sich Alnidas zu Wort. Hatte er während der Einleitung noch gelangweilt gewirkt, lebte er nun auf, während er sprach.
„Es ist offensichtlich, dass diese Verhandlungen so nicht weitergeführt werden können. Wir haben sechs Beratungen hinter uns ohne ein Ergebnis, und das hat einen Grund.“
„Ja, Dich.“, murmelte Kessy fast unhörbar. Shanera musste sich ein Grinsen verkneifen.
„Und was ist dieser Grund?“, fuhr der Alte fort. „Diese Verhandlungen sind sinnlos. Die Fremden sind nur hier, um zu spionieren und ihren eigenen Vorteil zu suchen. Sie haben nichts von Wert, was sie uns geben können oder wollen. Wir vergeuden unsere Zeit und mit jedem Tag, den wir ihnen hier zu bleiben erlauben, können sie mehr über uns in Erfahrung bringen und gleichzeitig versuchen, unsere Leute zu beeinflussen. Ihre wirren Ideen und ihr ungebührliches Verhalten bringen unsere Jugend vom rechten Pfad ab und gefährden unsere Gemeinschaft.“
„Wieso kommt mir das nur so bekannt vor.“, murmelte Shanera ebenso leise wie
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