Shanera (German Edition)
Wolken hingen.
Shanera betrachtete sie mit Sorge, denn ihr Weg führte sie über die erste Hügelkette hinweg und dann an deren Rückseite entlang westlich und später südwestlich zu ihrem Ziel. Es war durchaus möglich, dass auf der anderen Seite schon Schnee lag, denn die gemäßigte Klimazone hier am Rande der Wand war nur schmal und der gesamte Norden eine Eiswelt, soweit man wusste.
Sie äußerte ihre Besorgnis gegenüber den anderen.
„Wir sollten heute so weit wie möglich zu den Bergen vorstoßen, damit wir morgen den nördlichsten Teil unseres Weges komplett hinter uns bringen können und nicht im Schnee übernachten müssen.“
„Du meinst wirklich, es gibt Schnee?“ fragte Zela. In der Wand schneite es selten, und wenn, dann blieb nicht viel liegen.
„Ich bin mir ziemlich sicher. Der Wind ist hier schon ziemlich kalt, und sieh Dir mal die Wolken da drüben an.“
„Ja, Shanera hat recht.“, pflichtete ihr Koras bei. „Ich kenne zwar das Gebiet hinter den Bergen nicht, aber ich denke, die sind hoch genug, um eine Wettergrenze zu sein. Es kann gut sein, dass wir morgen eine Schneeballschlacht machen können.“
„Schneebälle sind ja ganz nett, aber den ganzen Tag in der Kälte herumlaufen und durch den Schnee stiefeln? Da friert es mich jetzt schon, danke.“, äußerte Zela.
Shanera musste grinsen. „Ihr Tempelleute seid einfach viel zu verweichlicht. Was glaubst Du, was die Jäger im Winter machen, wenn sie über das Hochplateau ziehen auf der Suche nach Wild? Du wirst es schon überleben. Im Notfall wärmen wir Dich ein bisschen auf, stimmt’s, Koras?“
„… Äh, ja. Na klar!“
„Das glaube ich gern.“, meinte Zela. „Schlagt Euch bloß die Flausen aus dem Kopf. Und außerdem bin ich nicht verweichlicht! Die Templerausbildung enthält genug Training und das Sammeln von Beeren und Kräutern ist auch kein Spaziergang. Wenn Ihr mal einen Heiltrank braucht, werdet Ihr froh sein, dass Ihr mich dabeihabt.“
„Das sind wir auch so.“, sagte Shanera und musste erneut grinsen. „Wen sollten wir denn sonst ärgern?“
*
Tag 4
„Wow! Das ist ja unglaublich!“
Zela streckte ihren Kopf neben Shanera über den letzten Felsen auf dem Pass.
Der Anblick, der sich ihnen bot, war in der Tat grandios: Auf der anderen Seite des Gebirges herrschten Frost und Schnee, eine Welt glitzernder und gleißender Kristalle, aufgelockert durch schwarze Felsstrukturen. Weite Schneeflächen zogen sich den Abhang hinab, der auf dieser Seite tiefer hinunter zu reichen schien als auf der Wandseite. In der Ferne verschwammen die strahlend weißen Flächen mit dem Horizont und das blendende Licht ließ ihre Augen tränen, obwohl die Sonne ihren Höchststand noch nicht erreicht hatte.
„Ich hätte nicht gedacht, dass diese kleinen Berge einen so großen Unterschied machen.“, sagte Koras.
„Na ja, auf unserer Seite zieht immer noch warme Luft aus der Tiefebene vorbei, aber damit ist hier Schluss.“, entgegnete Shanera. „Wir liegen jedenfalls gut in der Zeit. Wir steigen nur ein kleines Stück ab und folgen dann dem Bergrücken Richtung Westen. Bis heute Abend müssten wir wieder aus dem Schnee heraus sein.“
„Ein Glück, dass sich die Wolken heute Nacht wieder verzogen haben. Ich hätte keine Lust gehabt, hier in einem Schneesturm herumzustolpern. Da hinten sind zwar schon wieder neue Wolken, aber die werden wohl noch bis heute Abend warten.“
Sie zogen weiter. Obwohl die Sonne schien, war es doch kalt. Zum Glück waren die Berge nicht allzu steil und es war einigermaßen problemlos möglich, die Hänge entlangzulaufen. Auch der Schnee war hier nur eine dünne Schicht, so dass es mit der Schneeballschlacht etwas schwierig wurde. Während Shanera zielstrebig vorausmarschierte, stapften Zela und Koras mit etwas Abstand hinterher.
„Zumindest weiß ich jetzt, warum die Jäger nie hierher kommen. Hier gibt es einfach nichts, jedenfalls im Vergleich zur Grasebene.“, sagte Koras nach längerer Zeit des Schweigens.
Zela blickte zu ihm hinüber. „Da unten stehen zumindest ein paar Bäume oder Büsche. Meinst Du nicht, dass es da auch ein paar Tiere gibt?“
„Na ja, vielleicht. Aber viele sicher nicht.“
„Selbst wenn nicht, es ist doch irgendwie schön hier, findest Du nicht? So still, und weitläufig. Und … erhaben. Es ist, als ob sich hier nie etwas ändert. Diese Landschaft könnte schon seit der Erschaffung so ausgesehen haben. Vielleicht gibt es hier tatsächlich keine Tiere, und
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