Shanera (German Edition)
übernahm schließlich die Führung und brachte sie weiter talabwärts, wo der Wind nicht ganz so heftig wehte und sie endlich einige Felsbrocken fanden, hinter denen sie Deckung suchen konnten. Koras trieb Shanera dazu an, ihm beim Aufbau eines kleinen Schutzwalls aus dem hier tiefer liegenden Schnee und einigen größeren Steinen zu helfen, der sie zusammen mit den Felsen ein wenig vom eisigen Wind abschirmte.
Trotzdem war es alles andere als warm und Zela begann nach kurzer Zeit mit den Zähnen zu klappern. Mangels Holz konnten sie kein Feuer anzünden und Shanera hatte bereits begonnen, sich Vorwürfe zu machen, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss.
„Ein Iglu! Ich habe gelesen, dass man eine Kuppel aus Schnee bauen kann. Koras, nimm Dein Messer und hilf mir. Wir schneiden Schneeblöcke und schichten sie auf, bis wir einen geschlossenen Bau haben.“
„Wie soll uns das helfen?“, fragte Zela, zitternd. „Der Schnee ist doch so kalt wie alles hier.“
„Das mag sein, aber die Luft im Inneren wird sich erwärmen.“
Ohne die bereits vorhandenen Felsen hätten sie es wohl nicht fertiggebracht und das Ergebnis sah weder gut aus, noch war es besonders widerstandsfähig. Aber für diese eine Nacht musste es genügen. Als Koras und Shanera es endlich geschafft hatten, setzten sie sich links und rechts neben Zela in den improvisierten Unterschlupf und drückten sich so eng wie möglich an sie. Langsam wurde ihnen allen dreien wärmer. Sie aßen noch etwas aus ihren Vorräten, aber keiner hatte mehr die Energie, viel zu sagen und so legten sie sich bald hin, in der gleichen Anordnung, eng aneinander geschmiegt und völlig erschöpft. Binnen kurzem hatte sie der Schlaf übermannt.
Shanera wachte einmal in der Nacht auf. Sie horchte auf das Heulen des Windes und den Atem der beiden anderen. Die vor ihr liegende Zela schien tief zu schlafen. Sehr vorsichtig fühlte sie nach dem Puls ihrer Freundin. Er war in Ordnung, ruhig und sie hatte eine normale Temperatur. Sie gab ihr einen sehr sanften Kuss auf den Hals und streichelte ein wenig ihre Schulter, bevor sie wieder ins Reich der Träume entglitt.
*
Tag 5
Am nächsten Morgen tauchte der Vogel auf. Er kam ihnen aus dem Sturm entgegen, weiß und braun gemustert, von der Größe eines kleinen Raubvogels. Die Augen schienen gelb zu sein. Ein paar Mal kreiste er um sie herum und setzte sich schließlich auf einen Felsen, der vor ihnen auf ihrem Weg lag. Die allmähliche Annäherung der drei müde wirkenden Kintari schien ihn nicht im geringsten zu stören, er putzte sein Gefieder und wartete ruhig auf ihre Ankunft. Manchmal schwankte er ein wenig in einer Windböe.
„Das muss ein Gerokjäger sein“, sagte Zela schwer atmend, als sie auf ein Dutzend Schritte herangekommen waren. „Man sieht sie selten. In den Schriften des Tempels sind sie der Göttin des Windes zugeordnet.“
„Dann ist hier sicherlich der richtige Ort für sie. Aber ich wusste nicht, dass sie so zutraulich sind?“, meinte Koras.
Shanera gebot ihnen, anzuhalten. „Das ist wahrscheinlich nicht ihr normales Verhalten. Vielleicht ist dies das Zeichen, auf das wir gewartet haben.“
Sie ging langsam auf den Vogel zu, während ihr Puls schneller zu schlagen begann. Als sie nur noch zwei Schritte entfernt war, saß der Vogel immer noch da und sah sie an, mit beinahe intelligenten Augen. Das war ein höchst ungewöhnliches Verhalten. Langsam sank sie auf die Knie und machte das Zeichen der Götter. Die Göttin des Windes war auch für die Reisenden zuständig. Das Verhalten dieses Vogels würde ihr endlich Klarheit über ihr Vorhaben geben und sie würde die Entscheidung der Götter akzeptieren. Sie senkte den Kopf und wartete.
Nur ein kurzes Flattergeräusch warnte sie vor. Als sie den Kopf heben wollte, sah sie den Vogel aus dem Augenwinkel, wie er unmittelbar an ihrem Kopf vorbeiflog und dann auf ihrer Schulter landete, ohne sich von ihrem Zusammenzucken beirren zu lassen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie versuchte sehr vorsichtig, zur Seite zu schauen. Ein gelbes Auge schaute zurück. Der Vogel machte keine Anstalten, seinen Platz wieder zu räumen.
Ein Lächeln schlich sich auf Shaneras Gesicht. Sie hob langsam ihre Hand und strich mit einem Finger sanft über den Hals des Raubvogels, der sich das ruhig gefallen ließ. Sie wartete noch ein wenig, dann erhob sie sich und drehte sich zu den anderen um.
„Ich denke, ich werde ihn Windbote nennen.“ Ihr Grinsen vergrößerte
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