Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shanera (German Edition)

Shanera (German Edition)

Titel: Shanera (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Schön
Vom Netzwerk:
Behälter oder Aufzeichnungen.
    +
    Shanera hatte inzwischen viel Zeit, sich Gedanken zu machen. Ihr Lager war eine recht gut erhaltene und weitgehend leere Kuppel nahe dem oberen Klippenrand und dem abwärts führenden Treppengang, den Koras gefunden hatte. Nach seinem Aufbruch hatte sie noch einige Zeit auf ihrem improvisiertem Krankenbett aus Decken und Kleidungsstücken gedöst, doch irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Vorsichtig rappelte sie sich auf, zwar noch etwas schwach und mit gewaltigem Jucken unter ihren Verbänden, doch im Großen und Ganzen fühlte sie sich recht gut.
    Sie opferte ein wenig Wasser aus ihren Schläuchen, um sich das Gesicht zu waschen und nahm auch gleich noch einen kräftigen Schluck. Aufstehen mochte sie zwar nicht, aber zum Schlafen war sie zu wach. So griff sie sich ihre schwer mitgenommenen Leggins, ihr Nähzeug und das übrige Leder, das ihr Koras überlassen hatte. Schließlich wollte sie nicht halb nackt durch die Gegend rennen. Koras hatte sowieso schon mehr gesehen, als ihm zustand, auch wenn es sich um eine ärztliche Behandlung gehandelt hatte.
    Sie setzte einen Flicken auf den ersten, langgezogenen Riss und begann, ihn festzumachen. Hatte Zela sie im Stich gelassen? Oder war sie durch ihre Angst entschuldigt? Hätte sie vielleicht sowieso nicht mehr helfen können und sich nur selbst in Gefahr gebracht?
    Shanera war sich über ihre Gefühle nicht ganz im Klaren. Zu stark wirkte der Schock über den Absturz nach, und die darauf folgende Erleichterung, dass sie noch am Leben und relativ unversehrt war. Sie wusste nicht, ob ihre Freundin ihr hätte helfen können, aber es war keine angenehme Erfahrung gewesen, sie zurückweichen zu sehen, während sie sich um ihres Lebens willen an den wegbrechenden Steinen festklammerte.
    Auch wenn Zela sicher nicht mit Vorsatz und wahrscheinlich nicht mal aus Feigheit, sondern einfach in Panik gehandelt hatte, so bedeutete es doch, dass sie sich nicht auf sie verlassen konnte. Und wer weiß, vielleicht war in Zelas Unterbewusstsein doch irgendwo der Gedanke aufgetaucht, dass es schließlich nicht ihre Schuld war, dass Shanera in diese Notsituation geraten war? Shanera war doch diejenige, die die Sicherheit des Dorfes verlassen und sie alle ins Ungewisse geführt hatte.
    +
    Es war still unter der Erde, eine drückende Schwere senkte sich auf Zela herab. Sie versuchte, ruhig zu bleiben und tief durchzuatmen. Doch ihr Pulsschlag beschleunigte sich zusehends und sie konnte nur daran denken, dass dieser Marsch durch das Innere der toten Bauten hoffentlich bald ein Ende fand.
    Es ging eine weitere Treppe hinunter und hier gab es keinen Gang mehr, nur noch aneinander gereihte Räume mit gewölbten, tiefen Decken und niedrigen Bogenreihen als Verbindung. Was man im Halbdunkel sehen konnte, waren Berge von irgendwelchem Gerümpel, das an allen Wänden aufgetürmt war, Fetzen, Trümmer und Dreck auf dem Boden. Die Luft war muffig und abgestanden.
    Zela hastete jetzt voran, voraus durch die blauschimmernde Dunkelheit und, so weit möglich, immer geradeaus. Sie versuchte, ihre Gedanken auf den Weg zu konzentrieren, denn sobald sie abschweiften, überfiel sie der Schrecken dieses Ortes.
    Hinter den nächsten Bögen war es geringfügig heller. Als sie den Raum betrat, erstarrte sie in ihrem Schritt, denn hier bewahrheiteten sich ihre Befürchtungen. Nur ein paar Schritte entfernt, an der rechten Wand auf einigen verrotteten Decken, saßen mehrere leblose Körper, aneinander gelehnt, zusammengesackt.
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Hinter ihr blieb auch Koras stehen. Sie tastete nach seiner Hand und umklammerte sie, ohne den Blick von den Toten wenden zu können. Mit der anderen Hand machte sie langsam das Zeichen der Götter.
    „Zela …“, begann ihr Begleiter, doch sie unterbrach ihn. „Nicht.“ Sie erinnerte sich an die langen Sandläufe, Tage und Mondzyklen in der Tempelschule. Es gab viele Regeln, und diese war wichtig. Man durfte nicht einfach achtlos an unbestatteten Toten vorbeigehen, das war ein Vergehen, dass sich bitter rächen konnte. Zela mochte gar nicht daran denken, durch die finsteren Gänge weiterzugehen, Schatten und Ungewissheit im Rücken, wenn diese toten Augen nicht zur Ruhe gebracht wurden, oder zumindest besänftigt.
    Sie atmete noch einmal tief durch, schob Koras ein Stück zurück und begann mit einer einfachen Beschwörung, die die Geister der Toten um Verzeihung und um Ruhe bitten sollte. Es waren einfache, klare

Weitere Kostenlose Bücher