Shanera (German Edition)
an die Oberfläche. Heftig atmend, rieb sie sich die Augen und ließ den Blick in alle Richtungen schweifen. Windbote war nicht mehr zu sehen. Koras saß am Rand des Floßes und blickte sie gespannt an. Auch Zela war jetzt etwas näher gekommen, sah aber immer noch sehr beunruhigt aus.
„Ich muss noch mal runter.“, erklärte Shanera. „Da ist etwas, dass ich gerne mit hoch nehmen würde, wenn ich es erwische.“
„Und wie sieht es da unten aus?“
„Es gibt da eine Kammer hinter der Öffnung, aber ich kann es Dir nicht beschreiben. Es ist sehr seltsam … ich weiß nicht, wofür es gemacht ist.“
„Hm. Wenn Du wieder oben bist, würde ich auch gerne mal einen Blick drauf werfen.“
„Kannst Du gerne tun. Allerdings weiß ich nicht, ob ich Dich hochziehen könnte, also solltest Du besser vorsichtig sein …“
„Keine Angst, so leicht wirst Du mich nicht los.“
Shanera tauchte zum dritten Mal, diesmal steuerte sie den Boden der immer noch erleuchteten Kammer an. Der Wasserdruck lastete auf ihren Ohren und sie hatte Schwierigkeiten, tief genug zu kommen. Gerade noch erwischte sie ein hervorstehendes Teil hinter dem unteren Rand der Öffnung und konnte sich daran noch ein Stück weiterziehen, solange, bis sie mit den Fingerspitzen der anderen Hand den angepeilten Gegenstand greifen konnte. Sie schaute noch ein letztes Mal umher, doch außer dem Eingang gab es keine weiteren Öffnungen und es war nichts zu sehen, was eine Erklärung geboten hätte.
Sie tauchte auf, ihre Beute fest umklammert, und kletterte wieder auf ihr Floß, halb gezogen von Koras und Zela.
„Was ist das?“, fragte diese, jetzt doch neugierig geworden.
Shanera entfernte einige tropfende Haarsträhnen aus ihrem Blickfeld und rollte das kleine Ding auseinander. Es war aus dünnem, flexiblen, aber offenbar sehr widerstandsfähigem Material, so groß wie zwei Handflächen und von einer elegant geschwungenen, abgerundeten Form. Die Farbe war Grau, mit einigen farbigen Mustern am Rand. Das Wasser hatte keine sichtbaren Spuren hinterlassen.
„Das ist hübsch, aber nicht sehr aufregend. Warum hast Du es mitgebracht?“, fragte Zela.
Shanera runzelte die Stirn. „Es sah aus wie … eine Schriftrolle. Ich dachte, es stünde vielleicht etwas darauf.“ Sie drehte das Teil um. Auf der anderen Seite war ein schwaches geometrisches Muster zu sehen und einige etwas dunklere, runde Markierungen. Erneut wendete sie es, sie hatte beschlossen, dass die Seite mit den farbigen Zeichen an den Seiten die Vorderseite war. Am auffälligsten war ein fingerbreiter, blauer Kreis an einer der abgerundeten Ecken. Sie strich mit dem Daumen darüber.
Und hätte das Teil beinahe fallen gelassen, als wie von Geisterhand eine wirbelnde blaue Form auf der grauen Fläche erschien. Nach wenigen Augenblicken verschwand die Darstellung wieder und wurde von einem Bild aus geometrischen Formen und kleinen Mustern und Zeichen ersetzt.
Zela sog erschreckt die Luft ein, während Koras einen unterdrückten Laut der Überraschung von sich gab. Shanera bekämpfte ihren ersten Instinkt, das Teil über Bord zu werfen. Ihre Hände zitterten.
„Du hattest recht.“, flüsterte schließlich Zela nach einer langen Pause. „Es ist eine Schriftrolle.“
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Nach kurzer Diskussion, ob sie ihr Floß jetzt gleich oder später frei machen und weiterfahren sollten, entschieden sie sich dafür, noch etwas zu bleiben. Auch bei Zela hatte angesichts Shaneras faszinierender Entdeckung die Neugierde über das Unbehagen gesiegt.
Nachdem Koras zweimal getaucht war, aber nichts Neues mehr entdeckt hatte, versammelten sich alle vorne im Floß und steckten die Köpfe über der lebendigen Schriftrolle zusammen, die immer noch das bläuliche Bild zeigte.
„Es hat was mit den Markierungen am Rand zu tun.“, sagte Shanera. „Hier habe ich vorhin hingelangt.“ Sie tippte auf den blauen Kreis. Das Bild verschwand.
„Oh.“, machte Zela. „Tipp noch mal drauf!“
Shanera folgte ihrem Wunsch und sofort war das Bild wieder da.
„Es sieht ziemlich kompliziert aus.“, meinte sie. „Aber ich denke, das hier sind alles Schriftzeichen. Ich weiß nur nicht, was die ganzen Linien und Verzierungen außen herum bedeuten sollen. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie etwas Bestimmtes darstellen.“
Sie deutete auf die ersten Zeichen eines Schriftblocks und öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als sie schon wieder überrascht wurde. Plötzlich füllten die Schriftzeichen die ganze
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