Shanera (German Edition)
Floß?“, fragte Shanera heiser von ihrem Lager. „Kannst Du es weiter allein steuern?“
Zela kehrte zu ihr zurück und kauerte sich vor sie hin.
„Das krieg ich schon hin. Keine Sorge, Ihr seid in ein oder zwei Tagen wieder auf den Beinen. Ich habe noch genügend Weißdolch dabei, das wirkt in solchen Fällen Wunder. Schlaft jetzt noch ein bisschen.“
Zela wartete, bis Shanera die Augen geschlossen hatte. Sie betrachtete sie noch eine Weile, bevor sie ihr mit sanfter Hand einige Haarsträhnen aus dem Gesicht schob. Schließlich raffte sie sich auf, um ihre Kräuter herauszuholen und zuzubereiten. Auch Koras war schon wieder eingeschlafen.
*
Tag 18
Tatsächlich ging es ihnen schon am folgenden Morgen besser. Zelas Kräuterbehandlung hatte gute Wirkung gezeigt. Zudem hatte sie sich den ganzen Tag liebevoll um ihre beiden Patienten gekümmert und ihnen ermutigend zugeredet, obwohl sie selbst inzwischen ziemlich übermüdet war. Sie versuchte ihre Fürsorge gleichmäßig zwischen den beiden Kranken zu verteilen, da sie keinem das Gefühl geben wollte, vernachlässigt zu werden.
Zwischendurch grübelte sie darüber nach, woher diese plötzliche Erkrankung kommen konnte. Möglicherweise war es das Wasser oder eine Krankheit oder Abwehrreaktion, die durch Insekten übertragen wurde. Von denen gab es hier jedenfalls einige mehr als im Wald oder gar an der Großen Wand, wo diese Plagegeister nur selten lästig wurden. Glücklicherweise war es aber nichts, was über ihre Templerausbildung hinaus ging. Sie war froh, den anderen helfen zu können.
Jedenfalls stieg sie durch ihre kenntnisreiche Hilfe und mitfühlende Betreuung in der Wertschätzung ihrer Freunde. Beide bedankten sich am Abend bei ihr, als sie wieder zusammen beim Essen saßen. Das machte Zela ziemlich verlegen, was die anderen mit freundlichem Grinsen aufnahmen.
Sie redeten ihr gut zu, sich selbst etwas Ruhe zu gönnen und eine Runde zu schlafen. Allzu viel Überzeugungsarbeit war nicht nötig. Kaum hatte Zela den Kopf auf ihre Decke gebettet, schlief sie wie ein Stein.
*
Tag 19
„Windbote.“, murmelte Shanera, ungehört. Die anderen dösten im Heck des Bootes, erschöpft von der flirrenden Hitze und von den vergangenen Tagen des Nichtstuns. Drückende Schwüle kündete vom schon wieder nahen Regen. Unvermutet war der Vogel wieder aufgetaucht, sie glaubte zumindest, dass er es war. Ein gutes Stück neben ihrem Floß glitt er parallel zu ihrem Kurs durch die Luft, nicht sehr hoch über dem Wasser. Sie konnte sogar sein Spiegelbild erahnen, so nah war er der gekräuselten Oberfläche des Stroms.
Seine Flügelschläge waren langsam und präzise, sein Flug völlig gerade. Sie beobachtete ihn genau, wollte sehen, ob es wirklich Windbote war, vielleicht auch eine Ungenauigkeit oder Unstimmigkeit in seinem Verhalten finden. Es war hypnotisch. Plötzlich schien der Vogel still zu stehen, während der Fluss und der Rest der Welt an ihm vorbeizogen. Es kümmerte ihn nicht. Shanera kämpfte mit der absurden Vorstellung, dass vielleicht sogar seine Flügel in Wirklichkeit still und unbeweglich waren und all die komplizierten Bewegungen, die sie sah, nur Schein waren. Es schienen Ausflüsse einer sich krümmenden und windenden Welt zu sein, die um den Vogel herumstreifte, ohne ihn je berühren zu können.
Er drehte langsam den Kopf zu ihr und sah sie an. Jetzt war sie sicher, dass es Windbote war. Er schien zu verstehen, wie sie dachte, ja geradewegs in sie hineinzuschauen. Dann drehte er ab und war in wenigen Augenblicken hinter den in der Hitze flimmernden, graugrünen Baumumrissen des Westufers verschwunden.
Shanera blinzelte und fragte sich, was in sie gefahren sein mochte. Sie erinnerte sich wieder an ihre unheimliche Begegnung auf der schneebedeckten Hochebene, die jetzt sehr weit weg zu sein schien. In den letzten Tagen hatte sie überhaupt nicht mehr daran gedacht. Es war, als ob dieses ungelöste Rätsel von ihrem Gehirn weggepackt worden war, verschlossen und bereit, vergessen zu werden. Es schien so unwirklich. Aber nicht unwirklicher als die Erfahrung, die sie gerade eben gemacht hatte, hier und jetzt, zweifellos im wirklichen Leben.
Es hatte keinen Sinn, die Dinge zu leugnen, die sie gesehen hatte. Genauso wenig, sie voreilig in eine scheinbar nahe liegende Kategorie einzuordnen. Sie zweifelte mehr und mehr an der Erklärung, die Götter seien für dieses und anderes Rätselhafte verantwortlich, es handele sich um Zeichen oder schlicht um
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