Shanera (German Edition)
und die anderen verstummten. Sie zeigte auf einen der vor ihnen liegenden Wege und bedeutete Shanera, sie solle den anderen beiden dort entlang folgen. Als diese zögerte, verbeugte sie sich leicht und wiederholte ruhig ihre stumme Aufforderung.
Einer so bestimmten Einladung konnte sich Shanera schwer widersetzen, schließlich wollte sie keinen Streit anfangen. Also lächelte sie vorsichtig und machte sich auf den Weg, dem Fremden hinterher. Die zweite Frau lief voraus und war bald aus dem Blickfeld verschwunden, Gira’ba’sam blieb einige Schritte hinter ihr.
Es ging tiefer hinab und Shanera merkte bald, dass sie so nicht auf der anderen Seite der Schlucht herauskommen würde. Sie konnte nur hoffen, dass sie bald das Ziel der Waldleute erreichen würde und dann eine Verständigung erzielen konnte.
+
Der Rat der Waldleute hatte, wenn man nach den vorhandenen Sitzgelegenheiten urteilen konnte, sechs Plätze. Von diesen waren im Moment allerdings nur vier besetzt, und es schien nicht so, als ob die anderen beiden Mitglieder noch eintreffen würden. Offenbar war die zu treffende Entscheidung nicht so wichtig, dass sie die volle Besetzung erforderte.
Shanera stand in der Mitte einer geräumigen, runden Kammer, welche auf allen Seiten durch mächtiges Wurzelwerk begrenzt wurde. Dieses strebte mehr oder weniger geradlinig nach oben, nur leicht nach innen gebogen. So entstand ein sehr hoher, nach oben spitz zulaufender Raum, welcher einigen dutzend Leuten Platz bieten konnte.
Die knorrigen Wände waren knapp über dem mit Matten ausgelegten Boden und nochmals etwas über Kopfhöhe ringförmig mit Leuchtkugeln besetzt, die den Raum in ein gleichmäßiges blaues Licht tauchten. Von oben herab bis knapp über den Bereich der Lichter hingen nicht nur dünne Wurzelfäden, sondern auch viele kunstvoll geflochtene, zum Teil geschmückte Bänder, welche sich sanft bewegten.
Außer ihr und den vier Ratsmitgliedern war nur Gira’ba’sam anwesend, die diesen in ihrer Sprache etwas langatmig die Lage zu erklären schien.
Es hatte nach ihrer Begegnung fast einen Sandlauf gedauert, ehe sich der abwärts führende Pfad zu einem kleinen Platz geweitet hatte, der nur aus Moos und Wurzeln zu bestehen schien. Dahinter öffnete sich ein schmales und hohes linsenförmiges Tor, hinter dem, wie überall hier, ein bläuliches Schimmern erkennbar war.
Das Portal befand sich in einer von Wurzeln durchsetzten Steilwand, möglicherweise die andere Seite der Schlucht. Ein Waldbewohner hielt davor Wache. Shanera vermutete, dass sich weitere in unmittelbarer Nähe aufhielten, versteckt im tropfenden Gewirr der Wurzeln, Blätter, Lianen und Bäume.
Gira’ba’sam hatte unterwegs die Führung übernommen und sie das letzte Stück allein begleitet, nachdem sie Shanera gezeigt hatte, dass sich eine Vielzahl von Waldleuten im Umkreis aufhielt. Sie sollte wohl nicht auf dumme Gedanken kommen.
Das lag Shanera allerdings fern. Sie war neugierig geworden auf die Lebensweise dieser Leute, von denen sie den Eindruck gewonnen hatte, dass sie den Wald zu pflegen schienen. Zwei Waldbewohner, die sie sah, entfernten faulig aussehende Schlingpflanzen von einem der Baumriesen, ein anderer löste vorsichtig einige der blauen Leuchtkörper ab und packte sie in ein Bündel.
Zudem erweckten die muskulöse, leichtfüßige und gewandte Erscheinung ihrer Führerin und ihr ruhiges und sicheres Auftreten in ihr Respekt, ja sogar heimliche Bewunderung. Sie nahm ihre Umgebung offenbar außerordentlich gut wahr. Obwohl sie, während sie vor ihr lief, nie umsah, schien sie immer zu wissen, wo Shanera war. Zweimal bewahrte sie sie durch schnelles Zugreifen vor einem Abrutschen von dem schmalen und durch die dampfende Feuchtigkeit glitschigen Pfad.
Besonders war Shanera von ihrer dunklen Hautfarbe fasziniert. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um ihre Führerin nicht einfach anzufassen und über ihre Haut zu streichen. Sie fragte sich, ob es dieser umgekehrt ebenso erging oder ob sie schon öfter hellhäutige Kintari gesehen hatte.
Gerade in diesem Moment schenkte ihr Gira’ba’sam ein Lächeln, bei dem sie sich fragte, ob sie ihre Gedanken lesen konnte. Es lag etwas leicht amüsiertes, aber auch abschätzend fragendes darin, das Shanera rot werden ließ. Sie ermahnte sich innerlich, einen klaren Kopf zu behalten.
Beinahe hätte sie nicht mitbekommen, was ihre Führerin wollte. Offenbar sollte sie ihre Tragetasche ablegen. Das gefiel ihr nicht besonders, aber
Weitere Kostenlose Bücher