Shanera (German Edition)
nicht, ob man ihr diese nicht ganz wasserdichte Erklärung abnehmen würde – woher wollte sie schließlich wissen, dass der Fluss nicht in eine andere Richtung abbog, während sie mit ihrem Marsch durch den Wald Weg einsparen wollte? Aber sie wollte jetzt noch nichts von der Karte erzählen, um nicht alles noch komplizierter zu machen. Arab sah sie nachdenklich an, stellte ihre Geschichte aber nicht in Zweifel. Er übersetzte für die anderen, bevor er ihr antwortete.
„Du bist also den Flussfahrern begegnet. Hast Du ihre … Bauten gesehen?“
„Ein Bauwerk haben wir gesehen. Eine Kuppel, kleiner als dieser Raum.“ Sie zeigte die Form mit ihren Händen.
Arab nickte. „Die Flussfahrer sind … schwierig. Es ist schwer zu sagen, wie sie Deine Freunde behandeln werden.“
Das trug nun nicht gerade zu Shaneras Beruhigung bei.
„Ich möchte meinen Freunden möglichst schnell folgen. Ich werde Eure Fragen gerne beantworten, aber morgen früh muss ich weiter.“
Damit schien sie den Kernpunkt der Diskussion getroffen zu haben. Als der alte Mann ihre Worte übersetzt hatte, entspann sich ein Wortwechsel zwischen den Angehörigen des Rats, von dem Shanera naturgemäß nichts verstand.
Die Diskussion wurde jedoch relativ schnell beendet. Arab erhob wieder das Wort.
„Erzähl uns etwas … über Dein Dorf. Wie war es dort? Und warum … bist Du von dort nach hier gekommen?“
Shanera holte tief Luft. Sie zögerte kurz, aber im Grunde hatte sie sich bereits dafür entschieden, den Wanesh möglichst die Wahrheit über sich zu erzählen. Sie hatte das Gefühl, damit die besten Chancen zu haben. Zuerst stockend, dann selbstbewusster und flüssiger, begann sie, ihre Geschichte zu erzählen. Sie versuchte, sich kurz zu fassen und einfache Worte zu finden, dennoch dauerte es, unterbrochen von Übersetzungspausen, mindestens einen halben Sandlauf, bis sie ihren Hintergrund und ihre Beweggründe offenbart hatte.
Als sie fertig war, nickte Arab und wandte sich den anderen zu. Eine Beratung zwischen den Ratsmitgliedern begann, diesmal ruhiger und ernsthafter.
Sie musste trotz ihrer Anspannung ihre Ungeduld zügeln. Sie musterte ihre Gegenüber. Neben Arab und der alten Frau, die einen freundlichen und unbekümmerten Eindruck machte, gab es noch einen Mann, der nur wenig älter als sie schien. Er machte ein unzufriedenes Gesicht und schien Einwände gegen das zu erheben, was die beiden älteren Ratsmitglieder vorbrachten.
Das letzte Ratsmitglied war ein Mädchen, vielleicht zwei Sonnenzyklen jünger als sie, welches sie gelegentlich mit neugierigem Blick musterte. Trotz ihrer Jugend schien sie wenig Scheu vor den anderen zu haben und vertrat unbekümmert ihre Meinung, die Shanera leider verborgen blieb.
Sie schaute sich um zu Gira’ba’sam, die im Hintergrund ausgeharrt hatte. Die sah sie erst ganz ernst an, bevor sie plötzlich eine Grimasse schnitt, unbemerkt von den anderen im Raum. Shanera unterdrückte ein Lachen und grinste ihre Führerin an. Die lächelte verschmitzt zurück und musterte sie dann nachdenklich aus den Augenwinkeln heraus.
Als die Diskussion heftiger wurde, machte die ältere Frau beruhigende Gesten mit der Hand und schien die anderen zur Ordnung zu rufen. Sie winkte Gira’ba’sam herbei.
Nun schien diese befragt zu werden. Shanera meinte, bei ihr eine leichte Anspannung zu bemerken, und sie beschlichen langsam Zweifel. Letztlich ging es doch immer noch um die Frage, ob sie morgen weiterziehen durfte? Es konnte kein gutes Zeichen sein, wenn dies eine so schwierige Entscheidung war. Oder doch? Man hätte sie auch gleich irgendwo einsperren können und erst später Fragen stellen, falls überhaupt.
Sie schielte zu den beiden Wächtern. Diese machten einen recht gelassenen Eindruck. Shanera fiel auf, dass ihre Bemalung aus nur wenigen, einzelnen Punkte bestand. Die Ratsmitglieder hatten hingegen ähnlich viele weiße Flecken wie ihre Begleiterin Gira’ba’sam, und zusätzlich noch einen sorgfältig ausgeführten Streifen quer über der Nase, ebenfalls weiß.
Schließlich schien die Diskussion zu einem Ende zu kommen. Arab nickte dem jungen Mädchen im Rat zu. Dieses erhob sich. Die beiden Wachen traten etwas näher und stellten sich neben Gira’ba’sam und Shanera. Das Mädchen verkündete mit klarer Stimme einige Sätze, zu denen alle nickten.
Nach einer kurzen Pause übersetzte Arab: „Djaneera, Du bist als Gast der Wanesh willkommen. Du bleibst über Nacht hier. Dann …
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