Shanera (German Edition)
weiterhelfen konnte.
Er fürchtete auch, dass man ihn einfach in die Zelle zurückbringen würde, wenn es hier keine Fortschritte gab. Er musste es noch mal versuchen. Fordernd zeigt er auf das Pergament, das vor den beiden lag. Bisher hatten sie es nur – mit wenig Erfolg – benutzt, um ihre Fragen zu untermalen, ihm aber nicht die Feder gegeben. Oder was immer es war, mit dem sie zeichneten, wie eine Feder sah es eigentlich nicht aus. Eher wie das Teil, das er in der Stadt der Toten gefunden hatte.
Die beiden zögerten, doch schließlich gaben sie ihm Schreibgerät und Pergament. Koras wusste, was er fragen wollte. So gut er konnte, deutete er mit ein paar Strichen ein Boot auf dem Wasser und ein darauf befindliches Männchen an und zeigte auf sich. Neben sich auf dem Boot kritzelte er eine etwas krude weibliche Figur. Er konnte nur hoffen, dass Zela dieses Bild nicht zu sehen bekam, aber seine Zeichenkünste waren nun mal nicht besser.
Die beiden grinsten, aber als er auf die Frauengestalt zeigte und sie fragend ansah, wurden ihre Mienen skeptisch und sie begannen wieder zu diskutieren. Koras fragte sich, wie hier jemals etwas geregelt wurde. Ein Verhör oder das Auftreten gegenüber einem Gefangenen stellte er sich anders vor. Das hieß natürlich nicht, dass er sich beklagen wollte.
Er versuchte noch, die Große Wand zu zeichnen, aber sein Werk erschien ihm als wenig gelungen und es blieb unklar, ob die beiden verstanden, was es darstellen sollte.
Nach einigem Hin und Her gab er es auf. Seufzend lehnte er sich zurück, während ihm einer der beiden das Pergament wieder abnahm und der andere, sehr langsam sprechend, einen erneuten Versuch unternahm, ihn etwas zu fragen oder vielleicht sogar, ihm die hiesige Sprache beizubringen. Koras hörte nur mit halbem Ohr zu.
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Rey schien so etwas wie das Gehirn der kleinen Gruppe zu sein, obwohl seine weißen Haare nach Shaneras Eindruck nicht altersbedingt waren. Die drei hatten alle ein recht jugendliches Aussehen, aber vielleicht täuschte das ja auch. Hätte man auf eine schwierige diplomatische Mission nicht eher erfahrene Leute geschickt?
Rey versuchte, ihr die Situation zu erklären: „Nun, das Problem mit diesen Leuten ist, dass sie sehr misstrauisch sind. Und vor allem, dass sie sich selbst nicht einigen können. Es gibt hier zwei größere Fraktionen, wir nennen sie die Religiösen und die …“. Der Übersetzer streikte.
„Sagen wir doch einfach die Fortschrittlichen.“, half Noor aus.
„Die Fortschrittlichen?“, fragte Shanera. „Was soll das heißen?“
Rey kratzte sich am etwas stoppeligen Kinn. „Sie wollen … Also, sie haben diese Stadt gebaut, herausgefunden, wie man Metall leicht und in großen Mengen bearbeitet und all so was.“ Er klopfte zur Bestätigung auf die Wand des Ganges, den sie gerade entlang liefen. Es klang in der Tat metallisch. „Sie versuchen, immer neue Dinge zu entdecken oder zu erfinden und möglichst viel Wissen zu sammeln.“
„Ja, und das passt den Religiösen gar nicht in den Kram.“, warf Noor ein. „Die glauben nämlich, sie wissen schon alles, was sich zu wissen lohnt.“
„Pah.“ Kessy machte eine abfällige Handbewegung. „Gar nichts wissen sie. Würdest Du so etwas glauben, Shanera?“
Die Angesprochene zögerte, von der Frage etwas überrascht. „Nein.“, sagte sie dann. Sonst wäre sie schließlich nicht bis hierher gekommen. „Aber ich glaube, in meinem Dorf würdet ihr einige finden, die so denken.“
„Ja, das fürchte ich auch.“, meinte Rey. „Es ist ein Jammer.“
Shanera fühlte sich verpflichtet, ihr Volk zu verteidigen. „Wir führen ein hartes Leben in der Wand. Wir müssen uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Bis wir herausgefunden hätten, wie man solche Städte baut, wären wir verhungert.“
„Eine Kultur, die stillsteht und sich nicht weiter entwickelt, geht unter.“, sagte Rey mit leiser, aber fester Stimme. „Das kannst Du mir glauben. Wir haben oft genug gesehen, wie es endet.“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme machte ihr Angst.
„Du hast das erkannt.“, fuhr er fort. „Sonst wärest Du nicht hier. Sicher ist auch Abenteuerlust dabei. Aber im Grunde möchtest Du Deinen Leuten helfen – Du glaubst, es ist besser, ein Risiko einzugehen, als dazusitzen und zu warten, bis Ihr von den Ereignissen überrollt werdet.“
Es war beängstigend. Wie konnte er so etwas über sie und ihre Leute sagen, nachdem sie
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